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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 2te Februar.
Der Mensch, sehr sinnreich, sich zu quälen,
Erschaft sich oft eiu furchtbar Nichts.


Die Gespenster, ob sie gleich in diesem Jahrhundert ihr
Ansehen bei Klugen verloren haben, sind doch noch bei man-
chen Menschen ein Abendgedanke. Haben sie mich in meiner Ju-
gend gemartert, so sollen sie mich jetzt erbauen. Was sind sie?
Diese Frage setzet voraus, daß es würcklich welche gebe; folglich
kan sie nur der beantworten, der untrügliche Erfahrung von ihnen
zu haben vermeint. Wir übrigen halten sie bis dahin für ein Un-
ding, bei dem sich nichts gedenken läßt. Sind Gespenster mög-
lich? Das ist eine andre Frage, welche wir behutsamer beantwor-
ten. Die heilige Schrift lehrt uns eigentlich nichts davon, und
das ist ein beträchtlicher Einwurf wider ihr Daseyn. Die Welt-
weisheit ist bei ihrer Antwort verlegen, weil sie erst wissen will,
was man sich unter Gespenstern gedenke? Das Geisterreich ist
überhaupt eine dunkle Gegend, und was uns Gott nicht davon
offenbart hat, das liegt im dicksten Nebel verhüllt. Kurz zu fas-
sen, was man von dieser berüchtigten Sache, nach Schrift und
Vernunft, sagen kan: so sind Gespenster in gewisser Absicht mög-
lich, und in der andern nicht. Sollen verstorbne Menschen den
Himmel oder die Hölle, und ihr vermoderter Körper das Grab
verlassen? Das ist unmöglich mit dem Zusammenhange der christ-
lichen Lehren zu reimen. Soll der Teufel zur Mitternacht gau-
keln, um die Menschen zum Gebet zu treiben? Auch das ist un-
möglich, denn es streitet wider Christi Ehre und wider die Klug-
heit des Teufels. Hätte er so freie Macht, gewiß er würde sie
besser gebrauchen, und sich bey Armen und Einfältigen nicht auf-
halten. Engel die werden uns doch nicht erschrecken!

Da aber die mannigfaltigen Geschöpfe der Körperwelt ver-
muthen lassen, daß Gott sich in dem Reiche der Geister nicht we-
niger verherrlichet, und unzälige Geister erschaffen habe: so sagen
wir: es ist möglich daß verschiedne Gattungen Geister um uns her
wohnen, deren Natur wir nicht kennen. Und da wäre es aller-
dings möglich, obgleich unwahrscheinlich, daß sie durch gewisse

uns
E 3


Der 2te Februar.
Der Menſch, ſehr ſinnreich, ſich zu quaͤlen,
Erſchaft ſich oft eiu furchtbar Nichts.


Die Geſpenſter, ob ſie gleich in dieſem Jahrhundert ihr
Anſehen bei Klugen verloren haben, ſind doch noch bei man-
chen Menſchen ein Abendgedanke. Haben ſie mich in meiner Ju-
gend gemartert, ſo ſollen ſie mich jetzt erbauen. Was ſind ſie?
Dieſe Frage ſetzet voraus, daß es wuͤrcklich welche gebe; folglich
kan ſie nur der beantworten, der untruͤgliche Erfahrung von ihnen
zu haben vermeint. Wir uͤbrigen halten ſie bis dahin fuͤr ein Un-
ding, bei dem ſich nichts gedenken laͤßt. Sind Geſpenſter moͤg-
lich? Das iſt eine andre Frage, welche wir behutſamer beantwor-
ten. Die heilige Schrift lehrt uns eigentlich nichts davon, und
das iſt ein betraͤchtlicher Einwurf wider ihr Daſeyn. Die Welt-
weisheit iſt bei ihrer Antwort verlegen, weil ſie erſt wiſſen will,
was man ſich unter Geſpenſtern gedenke? Das Geiſterreich iſt
uͤberhaupt eine dunkle Gegend, und was uns Gott nicht davon
offenbart hat, das liegt im dickſten Nebel verhuͤllt. Kurz zu faſ-
ſen, was man von dieſer beruͤchtigten Sache, nach Schrift und
Vernunft, ſagen kan: ſo ſind Geſpenſter in gewiſſer Abſicht moͤg-
lich, und in der andern nicht. Sollen verſtorbne Menſchen den
Himmel oder die Hoͤlle, und ihr vermoderter Koͤrper das Grab
verlaſſen? Das iſt unmoͤglich mit dem Zuſammenhange der chriſt-
lichen Lehren zu reimen. Soll der Teufel zur Mitternacht gau-
keln, um die Menſchen zum Gebet zu treiben? Auch das iſt un-
moͤglich, denn es ſtreitet wider Chriſti Ehre und wider die Klug-
heit des Teufels. Haͤtte er ſo freie Macht, gewiß er wuͤrde ſie
beſſer gebrauchen, und ſich bey Armen und Einfaͤltigen nicht auf-
halten. Engel die werden uns doch nicht erſchrecken!

Da aber die mannigfaltigen Geſchoͤpfe der Koͤrperwelt ver-
muthen laſſen, daß Gott ſich in dem Reiche der Geiſter nicht we-
niger verherrlichet, und unzaͤlige Geiſter erſchaffen habe: ſo ſagen
wir: es iſt moͤglich daß verſchiedne Gattungen Geiſter um uns her
wohnen, deren Natur wir nicht kennen. Und da waͤre es aller-
dings moͤglich, obgleich unwahrſcheinlich, daß ſie durch gewiſſe

uns
E 3
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[69[99]/0106] Der 2te Februar. Der Menſch, ſehr ſinnreich, ſich zu quaͤlen, Erſchaft ſich oft eiu furchtbar Nichts. Die Geſpenſter, ob ſie gleich in dieſem Jahrhundert ihr Anſehen bei Klugen verloren haben, ſind doch noch bei man- chen Menſchen ein Abendgedanke. Haben ſie mich in meiner Ju- gend gemartert, ſo ſollen ſie mich jetzt erbauen. Was ſind ſie? Dieſe Frage ſetzet voraus, daß es wuͤrcklich welche gebe; folglich kan ſie nur der beantworten, der untruͤgliche Erfahrung von ihnen zu haben vermeint. Wir uͤbrigen halten ſie bis dahin fuͤr ein Un- ding, bei dem ſich nichts gedenken laͤßt. Sind Geſpenſter moͤg- lich? Das iſt eine andre Frage, welche wir behutſamer beantwor- ten. Die heilige Schrift lehrt uns eigentlich nichts davon, und das iſt ein betraͤchtlicher Einwurf wider ihr Daſeyn. Die Welt- weisheit iſt bei ihrer Antwort verlegen, weil ſie erſt wiſſen will, was man ſich unter Geſpenſtern gedenke? Das Geiſterreich iſt uͤberhaupt eine dunkle Gegend, und was uns Gott nicht davon offenbart hat, das liegt im dickſten Nebel verhuͤllt. Kurz zu faſ- ſen, was man von dieſer beruͤchtigten Sache, nach Schrift und Vernunft, ſagen kan: ſo ſind Geſpenſter in gewiſſer Abſicht moͤg- lich, und in der andern nicht. Sollen verſtorbne Menſchen den Himmel oder die Hoͤlle, und ihr vermoderter Koͤrper das Grab verlaſſen? Das iſt unmoͤglich mit dem Zuſammenhange der chriſt- lichen Lehren zu reimen. Soll der Teufel zur Mitternacht gau- keln, um die Menſchen zum Gebet zu treiben? Auch das iſt un- moͤglich, denn es ſtreitet wider Chriſti Ehre und wider die Klug- heit des Teufels. Haͤtte er ſo freie Macht, gewiß er wuͤrde ſie beſſer gebrauchen, und ſich bey Armen und Einfaͤltigen nicht auf- halten. Engel die werden uns doch nicht erſchrecken! Da aber die mannigfaltigen Geſchoͤpfe der Koͤrperwelt ver- muthen laſſen, daß Gott ſich in dem Reiche der Geiſter nicht we- niger verherrlichet, und unzaͤlige Geiſter erſchaffen habe: ſo ſagen wir: es iſt moͤglich daß verſchiedne Gattungen Geiſter um uns her wohnen, deren Natur wir nicht kennen. Und da waͤre es aller- dings moͤglich, obgleich unwahrſcheinlich, daß ſie durch gewiſſe uns E 3

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 69[99]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/106>, abgerufen am 21.11.2024.