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Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wirklich und anschaulich die fabelhaften hängenden Gärten der Semiramis, und noch viel wunderbarer, als jene; denn wer nicht Flügel hat, kann gar nicht hierher zu ihnen gelangen, wenn wir ihm nicht hülfreiche Hand bieten und etwa eine Strickleiter präpariren.

Wir leben eigentlich, erwiderte sie, ein Märchenleben so wunderlich, wie es nur in der Tausend und eine Nacht geschildert werden kann. Aber wie soll das in der Zukunft werden? Denn diese sogenannte Zukunft rückt doch irgend einmal in unsere Gegenwart hinein.

Sieh, herzlichstes Herz, sagte der Mann, wie du nun wieder von uns Beiden die prosaische bist. Um Michaelis reisete unser alter grämlicher Hauswirth nach jener entfernten Stadt, um bei seinem Doctorfreunde Hülfe oder Erleichterung für sein Podagra zu suchen. Wir waren damals so unermeßlich reich, daß wir ihm nicht nur die vierteljährliche Miethe, sondern sogar die Vorausbezahlung bis Ostern geben konnten, was er mit schmunzelndem Danke annahm. Von ihm haben wir also bis nach Ostern wenigstens nichts zu besorgen. Der eigentliche strenge Winter ist bereits vorüber. Holz werden wir nicht mehr viel brauchen, und im äußersten Fall sind uns immer noch die vier Stufen zum Boden hinauf übrig, und unsere Zukunft schläft dort noch sicher in mancher alten Thür, den Brettern des Fußbodens, den Bodenluken und manchen Utensilien. Darum getrost, meine Liebe, und laß uns

wirklich und anschaulich die fabelhaften hängenden Gärten der Semiramis, und noch viel wunderbarer, als jene; denn wer nicht Flügel hat, kann gar nicht hierher zu ihnen gelangen, wenn wir ihm nicht hülfreiche Hand bieten und etwa eine Strickleiter präpariren.

Wir leben eigentlich, erwiderte sie, ein Märchenleben so wunderlich, wie es nur in der Tausend und eine Nacht geschildert werden kann. Aber wie soll das in der Zukunft werden? Denn diese sogenannte Zukunft rückt doch irgend einmal in unsere Gegenwart hinein.

Sieh, herzlichstes Herz, sagte der Mann, wie du nun wieder von uns Beiden die prosaische bist. Um Michaelis reisete unser alter grämlicher Hauswirth nach jener entfernten Stadt, um bei seinem Doctorfreunde Hülfe oder Erleichterung für sein Podagra zu suchen. Wir waren damals so unermeßlich reich, daß wir ihm nicht nur die vierteljährliche Miethe, sondern sogar die Vorausbezahlung bis Ostern geben konnten, was er mit schmunzelndem Danke annahm. Von ihm haben wir also bis nach Ostern wenigstens nichts zu besorgen. Der eigentliche strenge Winter ist bereits vorüber. Holz werden wir nicht mehr viel brauchen, und im äußersten Fall sind uns immer noch die vier Stufen zum Boden hinauf übrig, und unsere Zukunft schläft dort noch sicher in mancher alten Thür, den Brettern des Fußbodens, den Bodenluken und manchen Utensilien. Darum getrost, meine Liebe, und laß uns

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[0067] wirklich und anschaulich die fabelhaften hängenden Gärten der Semiramis, und noch viel wunderbarer, als jene; denn wer nicht Flügel hat, kann gar nicht hierher zu ihnen gelangen, wenn wir ihm nicht hülfreiche Hand bieten und etwa eine Strickleiter präpariren. Wir leben eigentlich, erwiderte sie, ein Märchenleben so wunderlich, wie es nur in der Tausend und eine Nacht geschildert werden kann. Aber wie soll das in der Zukunft werden? Denn diese sogenannte Zukunft rückt doch irgend einmal in unsere Gegenwart hinein. Sieh, herzlichstes Herz, sagte der Mann, wie du nun wieder von uns Beiden die prosaische bist. Um Michaelis reisete unser alter grämlicher Hauswirth nach jener entfernten Stadt, um bei seinem Doctorfreunde Hülfe oder Erleichterung für sein Podagra zu suchen. Wir waren damals so unermeßlich reich, daß wir ihm nicht nur die vierteljährliche Miethe, sondern sogar die Vorausbezahlung bis Ostern geben konnten, was er mit schmunzelndem Danke annahm. Von ihm haben wir also bis nach Ostern wenigstens nichts zu besorgen. Der eigentliche strenge Winter ist bereits vorüber. Holz werden wir nicht mehr viel brauchen, und im äußersten Fall sind uns immer noch die vier Stufen zum Boden hinauf übrig, und unsere Zukunft schläft dort noch sicher in mancher alten Thür, den Brettern des Fußbodens, den Bodenluken und manchen Utensilien. Darum getrost, meine Liebe, und laß uns

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:30:27Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:30:27Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/67>, abgerufen am 25.04.2024.