Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mit dem Kopfe. Der Mann war steif und linkisch, mit seinem langen Zopfe und der rothen Nase komisch anzuschauen. Nun, Ihr? fuhr ihn mein heftiger Vater an; giebt's wieder zu hofmeistern? Der steilrechte Mann ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen und sagte ruhig: Erstlich haben Excellenz dem Pferde den Zügel nicht genug nachgelassen, weil Sie ängstlich waren; Sie konnten stürzen, denn der Sprung war nicht frei und weit genug; zweitens hat das Roß wenigstens ebenso viel Verdienst dabei als Sie, und wenn ich drittens nicht Stunden und Tage lang das Thier geübt und verständig gemacht hätte, was nur geschehen kann, wenn man Langeweile nicht fürchtet und die Geduld übt, so hätten weder Ihr freier Muth noch der gute Wille des Hengstes etwas gefruchtet. -- Ihr habt Recht, alter Mensch, sagte mein Vater und ließ ihm ein großes Geschenk verabreichen. -- So wir. Wir dürfen nur phantasiren, uns dem Gefühle und der Ahndung überlassen, träumen und witzig sein, wenn jener trockne Verstand die Schule allen diesen Rossen beigebracht hat. Will Reiter oder Pferd, wenn sie nur Dilettanten geblieben sind, den kühnen Sprung versuchen, so werden sie zum Grauen oder Gelächter der Zuschauer stürzen und im Graben liegen bleiben. Wahr, bemerkte Heinrich, die Geschichte unsrer Tage bestätigt das in so manchem Schwärmer oder auch Poeten. Es giebt jetzt Dichter, die sogar von der falschen Seite aufsteigen und doch ganz arglos mit dem Kopfe. Der Mann war steif und linkisch, mit seinem langen Zopfe und der rothen Nase komisch anzuschauen. Nun, Ihr? fuhr ihn mein heftiger Vater an; giebt's wieder zu hofmeistern? Der steilrechte Mann ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen und sagte ruhig: Erstlich haben Excellenz dem Pferde den Zügel nicht genug nachgelassen, weil Sie ängstlich waren; Sie konnten stürzen, denn der Sprung war nicht frei und weit genug; zweitens hat das Roß wenigstens ebenso viel Verdienst dabei als Sie, und wenn ich drittens nicht Stunden und Tage lang das Thier geübt und verständig gemacht hätte, was nur geschehen kann, wenn man Langeweile nicht fürchtet und die Geduld übt, so hätten weder Ihr freier Muth noch der gute Wille des Hengstes etwas gefruchtet. — Ihr habt Recht, alter Mensch, sagte mein Vater und ließ ihm ein großes Geschenk verabreichen. — So wir. Wir dürfen nur phantasiren, uns dem Gefühle und der Ahndung überlassen, träumen und witzig sein, wenn jener trockne Verstand die Schule allen diesen Rossen beigebracht hat. Will Reiter oder Pferd, wenn sie nur Dilettanten geblieben sind, den kühnen Sprung versuchen, so werden sie zum Grauen oder Gelächter der Zuschauer stürzen und im Graben liegen bleiben. Wahr, bemerkte Heinrich, die Geschichte unsrer Tage bestätigt das in so manchem Schwärmer oder auch Poeten. Es giebt jetzt Dichter, die sogar von der falschen Seite aufsteigen und doch ganz arglos <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0017"/> mit dem Kopfe. Der Mann war steif und linkisch, mit seinem langen Zopfe und der rothen Nase komisch anzuschauen. Nun, Ihr? fuhr ihn mein heftiger Vater an; giebt's wieder zu hofmeistern? Der steilrechte Mann ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen und sagte ruhig: Erstlich haben Excellenz dem Pferde den Zügel nicht genug nachgelassen, weil Sie ängstlich waren; Sie konnten stürzen, denn der Sprung war nicht frei und weit genug; zweitens hat das Roß wenigstens ebenso viel Verdienst dabei als Sie, und wenn ich drittens nicht Stunden und Tage lang das Thier geübt und verständig gemacht hätte, was nur geschehen kann, wenn man Langeweile nicht fürchtet und die Geduld übt, so hätten weder Ihr freier Muth noch der gute Wille des Hengstes etwas gefruchtet. — Ihr habt Recht, alter Mensch, sagte mein Vater und ließ ihm ein großes Geschenk verabreichen. — So wir. Wir dürfen nur phantasiren, uns dem Gefühle und der Ahndung überlassen, träumen und witzig sein, wenn jener trockne Verstand die Schule allen diesen Rossen beigebracht hat. Will Reiter oder Pferd, wenn sie nur Dilettanten geblieben sind, den kühnen Sprung versuchen, so werden sie zum Grauen oder Gelächter der Zuschauer stürzen und im Graben liegen bleiben.</p><lb/> <p>Wahr, bemerkte Heinrich, die Geschichte unsrer Tage bestätigt das in so manchem Schwärmer oder auch Poeten. Es giebt jetzt Dichter, die sogar von der falschen Seite aufsteigen und doch ganz arglos<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
mit dem Kopfe. Der Mann war steif und linkisch, mit seinem langen Zopfe und der rothen Nase komisch anzuschauen. Nun, Ihr? fuhr ihn mein heftiger Vater an; giebt's wieder zu hofmeistern? Der steilrechte Mann ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen und sagte ruhig: Erstlich haben Excellenz dem Pferde den Zügel nicht genug nachgelassen, weil Sie ängstlich waren; Sie konnten stürzen, denn der Sprung war nicht frei und weit genug; zweitens hat das Roß wenigstens ebenso viel Verdienst dabei als Sie, und wenn ich drittens nicht Stunden und Tage lang das Thier geübt und verständig gemacht hätte, was nur geschehen kann, wenn man Langeweile nicht fürchtet und die Geduld übt, so hätten weder Ihr freier Muth noch der gute Wille des Hengstes etwas gefruchtet. — Ihr habt Recht, alter Mensch, sagte mein Vater und ließ ihm ein großes Geschenk verabreichen. — So wir. Wir dürfen nur phantasiren, uns dem Gefühle und der Ahndung überlassen, träumen und witzig sein, wenn jener trockne Verstand die Schule allen diesen Rossen beigebracht hat. Will Reiter oder Pferd, wenn sie nur Dilettanten geblieben sind, den kühnen Sprung versuchen, so werden sie zum Grauen oder Gelächter der Zuschauer stürzen und im Graben liegen bleiben.
Wahr, bemerkte Heinrich, die Geschichte unsrer Tage bestätigt das in so manchem Schwärmer oder auch Poeten. Es giebt jetzt Dichter, die sogar von der falschen Seite aufsteigen und doch ganz arglos
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/17>, abgerufen am 27.07.2024. |