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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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wagte, diesen Baum mit Ästen, Zweigen
und Blättern so hinzustellen, immer höher
den Wolken mit seinen Felsmassen entgegen
zu gehn, und ein Werk hinzuzaubern, das
gleichsam ein Bild der Unendlichkeit ist.

Sternbald sagte: Ich ärgere mich jetzt
nicht mehr, wenn ich von diesem Riesenge¬
bäude verächtlich sprechen höre, wie es mir
ehemals wohl begegnete, da ich es nur noch
aus Zeichnungen kannte. Führt jeden Tad¬
ler, jeden, der von griechischer und römi¬
scher Baukunst spricht, nach Straßburg. Da
steht er in voller Herrlichkeit, ist fertig, ist
da, und bedarf keiner Vertheidigung in
Worten und auf dem Papiere; er verschmäht
das Zeichnen mit Linien und Bögen, und
all' den Wirrwarr von Geschmack und edler
Einfachheit. Das Erhabene dieser Größe
kann keine andre Erhabenheit darstellen;
die Vollendung der Symmetrie, die kühnste

wagte, dieſen Baum mit Äſten, Zweigen
und Blättern ſo hinzuſtellen, immer höher
den Wolken mit ſeinen Felsmaſſen entgegen
zu gehn, und ein Werk hinzuzaubern, das
gleichſam ein Bild der Unendlichkeit iſt.

Sternbald ſagte: Ich ärgere mich jetzt
nicht mehr, wenn ich von dieſem Rieſenge¬
bäude verächtlich ſprechen höre, wie es mir
ehemals wohl begegnete, da ich es nur noch
aus Zeichnungen kannte. Führt jeden Tad¬
ler, jeden, der von griechiſcher und römi¬
ſcher Baukunſt ſpricht, nach Straßburg. Da
ſteht er in voller Herrlichkeit, iſt fertig, iſt
da, und bedarf keiner Vertheidigung in
Worten und auf dem Papiere; er verſchmäht
das Zeichnen mit Linien und Bögen, und
all' den Wirrwarr von Geſchmack und edler
Einfachheit. Das Erhabene dieſer Größe
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[46/0054] wagte, dieſen Baum mit Äſten, Zweigen und Blättern ſo hinzuſtellen, immer höher den Wolken mit ſeinen Felsmaſſen entgegen zu gehn, und ein Werk hinzuzaubern, das gleichſam ein Bild der Unendlichkeit iſt. Sternbald ſagte: Ich ärgere mich jetzt nicht mehr, wenn ich von dieſem Rieſenge¬ bäude verächtlich ſprechen höre, wie es mir ehemals wohl begegnete, da ich es nur noch aus Zeichnungen kannte. Führt jeden Tad¬ ler, jeden, der von griechiſcher und römi¬ ſcher Baukunſt ſpricht, nach Straßburg. Da ſteht er in voller Herrlichkeit, iſt fertig, iſt da, und bedarf keiner Vertheidigung in Worten und auf dem Papiere; er verſchmäht das Zeichnen mit Linien und Bögen, und all' den Wirrwarr von Geſchmack und edler Einfachheit. Das Erhabene dieſer Größe kann keine andre Erhabenheit darſtellen; die Vollendung der Symmetrie, die kühnſte

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/54>, abgerufen am 29.03.2024.