Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

nach der Capelle des Sixtus. Schon fiel
der Abend und seine Dämmerung herein,
die großen Säle waren nur ungewiß er¬
leuchtet. Er stellte ihn vor das jüngste Ge¬
richt, und ging schweigend wieder fort.

In der ruhigen Einsamkeit schaute Stern¬
bald das erhabene Gedicht mit demüthigen
Augen an. Die großen Gestalten schienen
sich von oben herab zu bewegen, das ge¬
waltige Entsetzen des Augenblick's bemächtigte
sich auch seiner. Er stand da, und bat den
Figuren, dem Geiste Michael Angelo's seine
Verirrung ab.

Die großen Apostel an der Decke sahen
ihn ernst mit ihren ewigen Zügen und Mie¬
nen an, die Schöpfungsgeschichte lag wun¬
derbar da, der Allmächtige auf dem Sturm¬
winde herfahrend. Aber wie ein donnerndes
Gewitter stand vorzüglich das jüngste Ge¬
richt vor seinen Augen; er fühlte sich inner¬

lich

nach der Capelle des Sixtus. Schon fiel
der Abend und ſeine Dämmerung herein,
die großen Säle waren nur ungewiß er¬
leuchtet. Er ſtellte ihn vor das jüngſte Ge¬
richt, und ging ſchweigend wieder fort.

In der ruhigen Einſamkeit ſchaute Stern¬
bald das erhabene Gedicht mit demüthigen
Augen an. Die großen Geſtalten ſchienen
ſich von oben herab zu bewegen, das ge¬
waltige Entſetzen des Augenblick's bemächtigte
ſich auch ſeiner. Er ſtand da, und bat den
Figuren, dem Geiſte Michael Angelo's ſeine
Verirrung ab.

Die großen Apoſtel an der Decke ſahen
ihn ernſt mit ihren ewigen Zügen und Mie¬
nen an, die Schöpfungsgeſchichte lag wun¬
derbar da, der Allmächtige auf dem Sturm¬
winde herfahrend. Aber wie ein donnerndes
Gewitter ſtand vorzüglich das jüngſte Ge¬
richt vor ſeinen Augen; er fühlte ſich inner¬

lich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0408" n="400"/>
nach der Capelle des Sixtus. Schon fiel<lb/>
der Abend und &#x017F;eine Dämmerung herein,<lb/>
die großen Säle waren nur ungewiß er¬<lb/>
leuchtet. Er &#x017F;tellte ihn vor das jüng&#x017F;te Ge¬<lb/>
richt, und ging &#x017F;chweigend wieder fort.</p><lb/>
          <p>In der ruhigen Ein&#x017F;amkeit &#x017F;chaute Stern¬<lb/>
bald das erhabene Gedicht mit demüthigen<lb/>
Augen an. Die großen Ge&#x017F;talten &#x017F;chienen<lb/>
&#x017F;ich von oben herab zu bewegen, das ge¬<lb/>
waltige Ent&#x017F;etzen des Augenblick's bemächtigte<lb/>
&#x017F;ich auch &#x017F;einer. Er &#x017F;tand da, und bat den<lb/>
Figuren, dem Gei&#x017F;te Michael Angelo's &#x017F;eine<lb/>
Verirrung ab.</p><lb/>
          <p>Die großen Apo&#x017F;tel an der Decke &#x017F;ahen<lb/>
ihn ern&#x017F;t mit ihren ewigen Zügen und Mie¬<lb/>
nen an, die Schöpfungsge&#x017F;chichte lag wun¬<lb/>
derbar da, der Allmächtige auf dem Sturm¬<lb/>
winde herfahrend. Aber wie ein donnerndes<lb/>
Gewitter &#x017F;tand vorzüglich das jüng&#x017F;te Ge¬<lb/>
richt vor &#x017F;einen Augen; er fühlte &#x017F;ich inner¬<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lich<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[400/0408] nach der Capelle des Sixtus. Schon fiel der Abend und ſeine Dämmerung herein, die großen Säle waren nur ungewiß er¬ leuchtet. Er ſtellte ihn vor das jüngſte Ge¬ richt, und ging ſchweigend wieder fort. In der ruhigen Einſamkeit ſchaute Stern¬ bald das erhabene Gedicht mit demüthigen Augen an. Die großen Geſtalten ſchienen ſich von oben herab zu bewegen, das ge¬ waltige Entſetzen des Augenblick's bemächtigte ſich auch ſeiner. Er ſtand da, und bat den Figuren, dem Geiſte Michael Angelo's ſeine Verirrung ab. Die großen Apoſtel an der Decke ſahen ihn ernſt mit ihren ewigen Zügen und Mie¬ nen an, die Schöpfungsgeſchichte lag wun¬ derbar da, der Allmächtige auf dem Sturm¬ winde herfahrend. Aber wie ein donnerndes Gewitter ſtand vorzüglich das jüngſte Ge¬ richt vor ſeinen Augen; er fühlte ſich inner¬ lich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/408
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/408>, abgerufen am 26.04.2024.