Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Was soll Kunst seyn? was kann sie seyn?
Ich bin gar nicht in Abrede, und es wäre
thöricht von mir, dergleichen zu läugnen,
daß Michael Angelo ein ausgezeichneter
Geist ist, nur ist es wohl Übereilung des
Zeitalters, ihn und Rafael über alle übri¬
gen Sterblichen hinüberzuheben, und zu sa¬
gen: seht, sie haben die Kunst erfüllt!

Jegliche Kunst hat ihr eigenthümliches
Gebiet, ihre Gränzen, über die sie nicht
hinausschreiten darf, ohne sich zu versündi¬
gen. So die Poesie, Musik, Sculptur und
Mahlerei. Keiner muß in das Gebiet des
andern streifen, jeder Künstler muß seine
Heimath kennen. Dann muß jeglicher die
Frage genau untersuchen: was er mit sei¬
nen Mitteln für vernünftige Menschen zu
leisten im Stande ist. Er wird seine Histo¬
rie wählen, er wird den Gegenstand über¬
denken, um sich keine Unwahrscheinlichkeiten

Was ſoll Kunſt ſeyn? was kann ſie ſeyn?
Ich bin gar nicht in Abrede, und es wäre
thöricht von mir, dergleichen zu läugnen,
daß Michael Angelo ein ausgezeichneter
Geiſt iſt, nur iſt es wohl Übereilung des
Zeitalters, ihn und Rafael über alle übri¬
gen Sterblichen hinüberzuheben, und zu ſa¬
gen: ſeht, ſie haben die Kunſt erfüllt!

Jegliche Kunſt hat ihr eigenthümliches
Gebiet, ihre Gränzen, über die ſie nicht
hinausſchreiten darf, ohne ſich zu verſündi¬
gen. So die Poeſie, Muſik, Sculptur und
Mahlerei. Keiner muß in das Gebiet des
andern ſtreifen, jeder Künſtler muß ſeine
Heimath kennen. Dann muß jeglicher die
Frage genau unterſuchen: was er mit ſei¬
nen Mitteln für vernünftige Menſchen zu
leiſten im Stande iſt. Er wird ſeine Hiſto¬
rie wählen, er wird den Gegenſtand über¬
denken, um ſich keine Unwahrſcheinlichkeiten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0402" n="394"/>
Was &#x017F;oll Kun&#x017F;t &#x017F;eyn? was kann &#x017F;ie &#x017F;eyn?<lb/>
Ich bin gar nicht in Abrede, und es wäre<lb/>
thöricht von mir, dergleichen zu läugnen,<lb/>
daß Michael Angelo ein ausgezeichneter<lb/>
Gei&#x017F;t i&#x017F;t, nur i&#x017F;t es wohl Übereilung des<lb/>
Zeitalters, ihn und Rafael über alle übri¬<lb/>
gen Sterblichen hinüberzuheben, und zu &#x017F;<lb/>
gen: &#x017F;eht, &#x017F;ie haben die Kun&#x017F;t erfüllt!</p><lb/>
          <p>Jegliche Kun&#x017F;t hat ihr eigenthümliches<lb/>
Gebiet, ihre Gränzen, über die &#x017F;ie nicht<lb/>
hinaus&#x017F;chreiten darf, ohne &#x017F;ich zu ver&#x017F;ündi¬<lb/>
gen. So die Poe&#x017F;ie, Mu&#x017F;ik, Sculptur und<lb/>
Mahlerei. Keiner muß in das Gebiet des<lb/>
andern &#x017F;treifen, jeder Kün&#x017F;tler muß &#x017F;eine<lb/>
Heimath kennen. Dann muß jeglicher die<lb/>
Frage genau unter&#x017F;uchen: was er mit &#x017F;ei¬<lb/>
nen Mitteln für vernünftige Men&#x017F;chen zu<lb/>
lei&#x017F;ten im Stande i&#x017F;t. Er wird &#x017F;eine Hi&#x017F;to¬<lb/>
rie wählen, er wird den Gegen&#x017F;tand über¬<lb/>
denken, um &#x017F;ich keine Unwahr&#x017F;cheinlichkeiten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[394/0402] Was ſoll Kunſt ſeyn? was kann ſie ſeyn? Ich bin gar nicht in Abrede, und es wäre thöricht von mir, dergleichen zu läugnen, daß Michael Angelo ein ausgezeichneter Geiſt iſt, nur iſt es wohl Übereilung des Zeitalters, ihn und Rafael über alle übri¬ gen Sterblichen hinüberzuheben, und zu ſa¬ gen: ſeht, ſie haben die Kunſt erfüllt! Jegliche Kunſt hat ihr eigenthümliches Gebiet, ihre Gränzen, über die ſie nicht hinausſchreiten darf, ohne ſich zu verſündi¬ gen. So die Poeſie, Muſik, Sculptur und Mahlerei. Keiner muß in das Gebiet des andern ſtreifen, jeder Künſtler muß ſeine Heimath kennen. Dann muß jeglicher die Frage genau unterſuchen: was er mit ſei¬ nen Mitteln für vernünftige Menſchen zu leiſten im Stande iſt. Er wird ſeine Hiſto¬ rie wählen, er wird den Gegenſtand über¬ denken, um ſich keine Unwahrſcheinlichkeiten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/402
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/402>, abgerufen am 25.04.2024.