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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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so kann jeder Künstler an sich der Trefflichste
seyn, wenn er sich kennt und nichts Fremd¬
artiges in sich hineinnimmt. Wahrlich! es
ist, als hätte die alte Welt sich mit ihren
Wundern aufgethan, als ständen dort die
fabelhaften Cyklopen vor uns, die für Mars
oder Achilles die Waffen schmieden. Die
ganze Götterwelt kömmt dabei in mein Ge¬
dächtniß zurück: ich sehe nicht nur, was vor
mir ist, sondern die schönsten Erinnerungen
entwickeln sich im Innern meiner Seele, al¬
les wird lebendig und wach, was seit lange
schlief. Nein, mein Freund, ich bin innigst
überzeugt, die Kunst ist wie die Natur, sie
hat mehr als Eine Schönheit.

Bolz war still, beide Künstler ergötzten
sich lange an dem Anblick, dann suchten sie
den Rückweg nach der Stadt. Der Mond
war indeß heraufgekommen und glänzte ih¬
nen im vollen Lichte entgegen, durch die

ſo kann jeder Künſtler an ſich der Trefflichſte
ſeyn, wenn er ſich kennt und nichts Fremd¬
artiges in ſich hineinnimmt. Wahrlich! es
iſt, als hätte die alte Welt ſich mit ihren
Wundern aufgethan, als ſtänden dort die
fabelhaften Cyklopen vor uns, die für Mars
oder Achilles die Waffen ſchmieden. Die
ganze Götterwelt kömmt dabei in mein Ge¬
dächtniß zurück: ich ſehe nicht nur, was vor
mir iſt, ſondern die ſchönſten Erinnerungen
entwickeln ſich im Innern meiner Seele, al¬
les wird lebendig und wach, was ſeit lange
ſchlief. Nein, mein Freund, ich bin innigſt
überzeugt, die Kunſt iſt wie die Natur, ſie
hat mehr als Eine Schönheit.

Bolz war ſtill, beide Künſtler ergötzten
ſich lange an dem Anblick, dann ſuchten ſie
den Rückweg nach der Stadt. Der Mond
war indeß heraufgekommen und glänzte ih¬
nen im vollen Lichte entgegen, durch die

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[295/0303] ſo kann jeder Künſtler an ſich der Trefflichſte ſeyn, wenn er ſich kennt und nichts Fremd¬ artiges in ſich hineinnimmt. Wahrlich! es iſt, als hätte die alte Welt ſich mit ihren Wundern aufgethan, als ſtänden dort die fabelhaften Cyklopen vor uns, die für Mars oder Achilles die Waffen ſchmieden. Die ganze Götterwelt kömmt dabei in mein Ge¬ dächtniß zurück: ich ſehe nicht nur, was vor mir iſt, ſondern die ſchönſten Erinnerungen entwickeln ſich im Innern meiner Seele, al¬ les wird lebendig und wach, was ſeit lange ſchlief. Nein, mein Freund, ich bin innigſt überzeugt, die Kunſt iſt wie die Natur, ſie hat mehr als Eine Schönheit. Bolz war ſtill, beide Künſtler ergötzten ſich lange an dem Anblick, dann ſuchten ſie den Rückweg nach der Stadt. Der Mond war indeß heraufgekommen und glänzte ih¬ nen im vollen Lichte entgegen, durch die

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/303>, abgerufen am 22.11.2024.