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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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nicht mehr mächtig. Ich stieg vom Pferde,
sie war ganz allein, sie antwortete so freund¬
lich auf alle meine Fragen, ich war in mei¬
nem Leben zum erstenmal mit einem Weibe
verlegen, ich machte mir Vorwürfe, ich wußte
nicht, was ich sprach. Neben der Thür des
Hauses war eine dichte Laube, wir setzten
uns nieder; die schönsten blauen Augen sa¬
hen mich an, ich konnte den frischen Lippen
nicht widerstehen, die zum Kuß einluden,
sie war nicht strenge gegen mich, ich vergaß
die Stunde. Nachdenkend ritt ich zurück,
ich wußte nun bestimmt, daß ich in dieser
Einschränkung, in der Ehe mit der schönen
Gräfin nicht glücklich seyn würde. Ich hatte
es sonst oft belacht, daß man mit dem ge¬
wechselten Ringe die Freiheit fortschenkte,
jetzt erst verstand ich den Sinn dieser Re¬
densart. Ich vermied die Gräfin, ihre
Schönheit lockte mich wieder an, ich ver¬

nicht mehr mächtig. Ich ſtieg vom Pferde,
ſie war ganz allein, ſie antwortete ſo freund¬
lich auf alle meine Fragen, ich war in mei¬
nem Leben zum erſtenmal mit einem Weibe
verlegen, ich machte mir Vorwürfe, ich wußte
nicht, was ich ſprach. Neben der Thür des
Hauſes war eine dichte Laube, wir ſetzten
uns nieder; die ſchönſten blauen Augen ſa¬
hen mich an, ich konnte den friſchen Lippen
nicht widerſtehen, die zum Kuß einluden,
ſie war nicht ſtrenge gegen mich, ich vergaß
die Stunde. Nachdenkend ritt ich zurück,
ich wußte nun beſtimmt, daß ich in dieſer
Einſchränkung, in der Ehe mit der ſchönen
Gräfin nicht glücklich ſeyn würde. Ich hatte
es ſonſt oft belacht, daß man mit dem ge¬
wechſelten Ringe die Freiheit fortſchenkte,
jetzt erſt verſtand ich den Sinn dieſer Re¬
densart. Ich vermied die Gräfin, ihre
Schönheit lockte mich wieder an, ich ver¬

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[212/0220] nicht mehr mächtig. Ich ſtieg vom Pferde, ſie war ganz allein, ſie antwortete ſo freund¬ lich auf alle meine Fragen, ich war in mei¬ nem Leben zum erſtenmal mit einem Weibe verlegen, ich machte mir Vorwürfe, ich wußte nicht, was ich ſprach. Neben der Thür des Hauſes war eine dichte Laube, wir ſetzten uns nieder; die ſchönſten blauen Augen ſa¬ hen mich an, ich konnte den friſchen Lippen nicht widerſtehen, die zum Kuß einluden, ſie war nicht ſtrenge gegen mich, ich vergaß die Stunde. Nachdenkend ritt ich zurück, ich wußte nun beſtimmt, daß ich in dieſer Einſchränkung, in der Ehe mit der ſchönen Gräfin nicht glücklich ſeyn würde. Ich hatte es ſonſt oft belacht, daß man mit dem ge¬ wechſelten Ringe die Freiheit fortſchenkte, jetzt erſt verſtand ich den Sinn dieſer Re¬ densart. Ich vermied die Gräfin, ihre Schönheit lockte mich wieder an, ich ver¬

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/220>, abgerufen am 27.11.2024.