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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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lich, ihr ziehenden Vögel, du Schwalbe
mit deinen lieblichen Gesängen, du Lerche
mit deinen Reiseliedern! Keine Städte,
keine Dörfer werden mir mehr mit ihren
glänzenden Fenstern entgegenblicken, und ich
werde nun nicht mehr denken: Welche weib¬
liche Gestalt steht dort hinter den Vorhän¬
gen, und sieht mir den Berg herauf entge¬
gen? Bei keinem fremden liebreizenden Ge¬
sichte darf mir nun mehr einfallen: Wir
werden bekannter mit einander werden, die¬
ser Busen wird vielleicht am meinigen ruhn,
diese Lippen werden mit meinen Küssen ver¬
traut seyn.

Mein Gemüth ward hin- und zurück¬
gezogen, häusliche Heimath, räthselhafte
Fremde; ich stand in der Mitte, und wußte
nicht, wohin. Ich wünschte, die Gräfin
möchte mich weniger lieben, ein Anderer
möchte mich aus ihrer Gunst verdrängen,

dann

lich, ihr ziehenden Vögel, du Schwalbe
mit deinen lieblichen Geſängen, du Lerche
mit deinen Reiſeliedern! Keine Städte,
keine Dörfer werden mir mehr mit ihren
glänzenden Fenſtern entgegenblicken, und ich
werde nun nicht mehr denken: Welche weib¬
liche Geſtalt ſteht dort hinter den Vorhän¬
gen, und ſieht mir den Berg herauf entge¬
gen? Bei keinem fremden liebreizenden Ge¬
ſichte darf mir nun mehr einfallen: Wir
werden bekannter mit einander werden, die¬
ſer Buſen wird vielleicht am meinigen ruhn,
dieſe Lippen werden mit meinen Küſſen ver¬
traut ſeyn.

Mein Gemüth ward hin- und zurück¬
gezogen, häusliche Heimath, räthſelhafte
Fremde; ich ſtand in der Mitte, und wußte
nicht, wohin. Ich wünſchte, die Gräfin
möchte mich weniger lieben, ein Anderer
möchte mich aus ihrer Gunſt verdrängen,

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[208/0216] lich, ihr ziehenden Vögel, du Schwalbe mit deinen lieblichen Geſängen, du Lerche mit deinen Reiſeliedern! Keine Städte, keine Dörfer werden mir mehr mit ihren glänzenden Fenſtern entgegenblicken, und ich werde nun nicht mehr denken: Welche weib¬ liche Geſtalt ſteht dort hinter den Vorhän¬ gen, und ſieht mir den Berg herauf entge¬ gen? Bei keinem fremden liebreizenden Ge¬ ſichte darf mir nun mehr einfallen: Wir werden bekannter mit einander werden, die¬ ſer Buſen wird vielleicht am meinigen ruhn, dieſe Lippen werden mit meinen Küſſen ver¬ traut ſeyn. Mein Gemüth ward hin- und zurück¬ gezogen, häusliche Heimath, räthſelhafte Fremde; ich ſtand in der Mitte, und wußte nicht, wohin. Ich wünſchte, die Gräfin möchte mich weniger lieben, ein Anderer möchte mich aus ihrer Gunſt verdrängen, dann

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/216>, abgerufen am 23.04.2024.