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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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Oberitalien umher, denn die Reisesucht, das
Verlangen, fremde Gegenden zu sehn, das
in uns beiden fast gleich stark war, hatte
uns zuerst an einander geknüpft. Ich habe
nie wieder einen so wunderbaren Menschen
gesehn, als diesen Lodoviko, ja ich kann
wohl sagen, daß mir ein solcher Charakter
auch vorher in der Imagination nicht als
möglich vorgekommen war. Immer eben so
heiter als unbesonnen, auch in der verdrie߬
lichsten Lage fröhlich und voll Muth: jede
Gelegenheit ergriff er, die ihn in Verwir¬
rung bringen konnte, und seine größte Freude
bestand darin, mich in Noth oder Gefahr zu
verwickeln, und mich nachher stecken zu las¬
sen. Dabei war er so unbeschreiblich gutmü¬
thig, daß ich niemals auf ihn zürnen konnte.
So vertraut wir mit einander waren, hat
er mir doch niemals entdeckt, wer er eigent¬
lich sey, welcher Familie er angehöre, so oft

(2r Th.) N

Oberitalien umher, denn die Reiſeſucht, das
Verlangen, fremde Gegenden zu ſehn, das
in uns beiden faſt gleich ſtark war, hatte
uns zuerſt an einander geknüpft. Ich habe
nie wieder einen ſo wunderbaren Menſchen
geſehn, als dieſen Lodoviko, ja ich kann
wohl ſagen, daß mir ein ſolcher Charakter
auch vorher in der Imagination nicht als
möglich vorgekommen war. Immer eben ſo
heiter als unbeſonnen, auch in der verdrie߬
lichſten Lage fröhlich und voll Muth: jede
Gelegenheit ergriff er, die ihn in Verwir¬
rung bringen konnte, und ſeine größte Freude
beſtand darin, mich in Noth oder Gefahr zu
verwickeln, und mich nachher ſtecken zu laſ¬
ſen. Dabei war er ſo unbeſchreiblich gutmü¬
thig, daß ich niemals auf ihn zürnen konnte.
So vertraut wir mit einander waren, hat
er mir doch niemals entdeckt, wer er eigent¬
lich ſey, welcher Familie er angehöre, ſo oft

(2r Th.) N
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[193/0201] Oberitalien umher, denn die Reiſeſucht, das Verlangen, fremde Gegenden zu ſehn, das in uns beiden faſt gleich ſtark war, hatte uns zuerſt an einander geknüpft. Ich habe nie wieder einen ſo wunderbaren Menſchen geſehn, als dieſen Lodoviko, ja ich kann wohl ſagen, daß mir ein ſolcher Charakter auch vorher in der Imagination nicht als möglich vorgekommen war. Immer eben ſo heiter als unbeſonnen, auch in der verdrie߬ lichſten Lage fröhlich und voll Muth: jede Gelegenheit ergriff er, die ihn in Verwir¬ rung bringen konnte, und ſeine größte Freude beſtand darin, mich in Noth oder Gefahr zu verwickeln, und mich nachher ſtecken zu laſ¬ ſen. Dabei war er ſo unbeſchreiblich gutmü¬ thig, daß ich niemals auf ihn zürnen konnte. So vertraut wir mit einander waren, hat er mir doch niemals entdeckt, wer er eigent¬ lich ſey, welcher Familie er angehöre, ſo oft (2r Th.) N

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/201>, abgerufen am 27.11.2024.