Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

und Lebendigkeit, Fülle und Leere, und die
Kühnheit der Gedanken, der Zusammensez¬
zung findet erst hier ihren rechten Platz.
Ich habe es ungern gehört, daß man diesen
Gedichten so oft den Mangel an Zierlichkeit
vorrückt, daß man hier thätige Bewegung
und schnellen Reiz einer Handlung fordert,
wenn sie statt eines einzelnen Menschen die
Menschheit ausdrücken, statt eines Vorfalls
eine erhabene Ruhe. Gerade diese anschei¬
nende Kälte, die Unbiegsamkeit im Stoffe
ist das, was mir so oft einen wehmüthigen
Schauder bei der Betrachtung erregte: daß
hier allgemeine Begriffe in sinnlichen Gestal¬
ten mit so ernster Bedeutung aufgestellt sind,
Kind und Greis in ihren Empfindungen ver¬
einigt, daß das Ganze unzusammenhängend
erscheint, wie das menschliche Leben, und
doch eins um des andern nothwendig ist,
wie man auch im Leben nichts aus seiner

(2r Th.) M

und Lebendigkeit, Fülle und Leere, und die
Kühnheit der Gedanken, der Zuſammenſez¬
zung findet erſt hier ihren rechten Platz.
Ich habe es ungern gehört, daß man dieſen
Gedichten ſo oft den Mangel an Zierlichkeit
vorrückt, daß man hier thätige Bewegung
und ſchnellen Reiz einer Handlung fordert,
wenn ſie ſtatt eines einzelnen Menſchen die
Menſchheit ausdrücken, ſtatt eines Vorfalls
eine erhabene Ruhe. Gerade dieſe anſchei¬
nende Kälte, die Unbiegſamkeit im Stoffe
iſt das, was mir ſo oft einen wehmüthigen
Schauder bei der Betrachtung erregte: daß
hier allgemeine Begriffe in ſinnlichen Geſtal¬
ten mit ſo ernſter Bedeutung aufgeſtellt ſind,
Kind und Greis in ihren Empfindungen ver¬
einigt, daß das Ganze unzuſammenhängend
erſcheint, wie das menſchliche Leben, und
doch eins um des andern nothwendig iſt,
wie man auch im Leben nichts aus ſeiner

(2r Th.) M
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0185" n="177"/>
und Lebendigkeit, Fülle und Leere, und die<lb/>
Kühnheit der Gedanken, der Zu&#x017F;ammen&#x017F;ez¬<lb/>
zung findet er&#x017F;t hier ihren rechten Platz.<lb/>
Ich habe es ungern gehört, daß man die&#x017F;en<lb/>
Gedichten &#x017F;o oft den Mangel an Zierlichkeit<lb/>
vorrückt, daß man hier thätige Bewegung<lb/>
und &#x017F;chnellen Reiz einer Handlung fordert,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;tatt eines einzelnen Men&#x017F;chen die<lb/>
Men&#x017F;chheit ausdrücken, &#x017F;tatt eines Vorfalls<lb/>
eine erhabene Ruhe. Gerade die&#x017F;e an&#x017F;chei¬<lb/>
nende Kälte, die Unbieg&#x017F;amkeit im Stoffe<lb/>
i&#x017F;t das, was mir &#x017F;o oft einen wehmüthigen<lb/>
Schauder bei der Betrachtung erregte: daß<lb/>
hier allgemeine Begriffe in &#x017F;innlichen Ge&#x017F;tal¬<lb/>
ten mit &#x017F;o ern&#x017F;ter Bedeutung aufge&#x017F;tellt &#x017F;ind,<lb/>
Kind und Greis in ihren Empfindungen ver¬<lb/>
einigt, daß das Ganze unzu&#x017F;ammenhängend<lb/>
er&#x017F;cheint, wie das men&#x017F;chliche Leben, und<lb/>
doch eins um des andern nothwendig i&#x017F;t,<lb/>
wie man auch im Leben nichts aus &#x017F;einer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">(2r Th.) M<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0185] und Lebendigkeit, Fülle und Leere, und die Kühnheit der Gedanken, der Zuſammenſez¬ zung findet erſt hier ihren rechten Platz. Ich habe es ungern gehört, daß man dieſen Gedichten ſo oft den Mangel an Zierlichkeit vorrückt, daß man hier thätige Bewegung und ſchnellen Reiz einer Handlung fordert, wenn ſie ſtatt eines einzelnen Menſchen die Menſchheit ausdrücken, ſtatt eines Vorfalls eine erhabene Ruhe. Gerade dieſe anſchei¬ nende Kälte, die Unbiegſamkeit im Stoffe iſt das, was mir ſo oft einen wehmüthigen Schauder bei der Betrachtung erregte: daß hier allgemeine Begriffe in ſinnlichen Geſtal¬ ten mit ſo ernſter Bedeutung aufgeſtellt ſind, Kind und Greis in ihren Empfindungen ver¬ einigt, daß das Ganze unzuſammenhängend erſcheint, wie das menſchliche Leben, und doch eins um des andern nothwendig iſt, wie man auch im Leben nichts aus ſeiner (2r Th.) M

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/185
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/185>, abgerufen am 23.11.2024.