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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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Wenn das Knie sich uns entblößt,
Gürtel von den Hüften lös't.

Du marterst mich nur, sagte Sternbald,
als Rudolf geendigt hatte, sprich wie Du
willst, ich werde niemals Deiner Meinung
seyn. Man kann sich in einem leichtsinni¬
gen Augenblicke vergessen, aber wenn man
freiwillig den Sinnen den Sieg über sich
selbst einräumt, so erniedrigt man sich da¬
durch unter sich selbst.

Du willst ein Mahler seyn, und sprichst
so? rief Rudolf aus, o, laß ja die Kunst
fahren, wenn Dir Deine Sinnen nicht lie¬
ber sind, denn durch diese allein vermagst
Du die Rührungen hervorzubringen. Was
wollt Ihr mit allen Euren Farben darstel¬
len und ausrichten, als die Sinnen auf die
schönste Weise ergötzen? Durch nichts kann
der Künstler unsre Phantasie so gefangen
nehmen, als durch den Reiz der vollendeten

Wenn das Knie ſich uns entblößt,
Gürtel von den Hüften löſ’t.

Du marterſt mich nur, ſagte Sternbald,
als Rudolf geendigt hatte, ſprich wie Du
willſt, ich werde niemals Deiner Meinung
ſeyn. Man kann ſich in einem leichtſinni¬
gen Augenblicke vergeſſen, aber wenn man
freiwillig den Sinnen den Sieg über ſich
ſelbſt einräumt, ſo erniedrigt man ſich da¬
durch unter ſich ſelbſt.

Du willſt ein Mahler ſeyn, und ſprichſt
ſo? rief Rudolf aus, o, laß ja die Kunſt
fahren, wenn Dir Deine Sinnen nicht lie¬
ber ſind, denn durch dieſe allein vermagſt
Du die Rührungen hervorzubringen. Was
wollt Ihr mit allen Euren Farben darſtel¬
len und ausrichten, als die Sinnen auf die
ſchönſte Weiſe ergötzen? Durch nichts kann
der Künſtler unſre Phantaſie ſo gefangen
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[164/0172] Wenn das Knie ſich uns entblößt, Gürtel von den Hüften löſ’t. Du marterſt mich nur, ſagte Sternbald, als Rudolf geendigt hatte, ſprich wie Du willſt, ich werde niemals Deiner Meinung ſeyn. Man kann ſich in einem leichtſinni¬ gen Augenblicke vergeſſen, aber wenn man freiwillig den Sinnen den Sieg über ſich ſelbſt einräumt, ſo erniedrigt man ſich da¬ durch unter ſich ſelbſt. Du willſt ein Mahler ſeyn, und ſprichſt ſo? rief Rudolf aus, o, laß ja die Kunſt fahren, wenn Dir Deine Sinnen nicht lie¬ ber ſind, denn durch dieſe allein vermagſt Du die Rührungen hervorzubringen. Was wollt Ihr mit allen Euren Farben darſtel¬ len und ausrichten, als die Sinnen auf die ſchönſte Weiſe ergötzen? Durch nichts kann der Künſtler unſre Phantaſie ſo gefangen nehmen, als durch den Reiz der vollendeten

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/172>, abgerufen am 20.04.2024.