Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

erröthete, wenn man das Wort Kunst aus¬
sprach, ich fühlte mich unwürdig, und das,
was mir vorher als das Göttlichste erschien,
kam mir nun als ein müßiges, zeitverder¬
bendes Spielwerk vor, als eine Anmaßung
über die leidende und arbeitende Mensch¬
heit. Ich war meines Daseyns überdrüßig.

Einer meiner Freunde, der mir vielleicht
geholfen hätte, war verreis't. Ich überließ
mich der Verzweiflung. Meine Gattin starb
im Wochenbette, das Kind war todt. Ich
lag in der Kammer neben an, und alles
erlosch vor meinen Augen. Alles, was mich
geliebt hatte, trat in einer fürchterlichen
Gleichgültigkeit auf mich zu: alles, was ich
für mein gehalten hatte, nahm wie Fremd¬
ling von mir auf immer Abschied.

Alle Gestalten der Welt, alles, was
sich je in meinem Innern bewegt hatte,
verwirrte sich verwildert durch einander. Es

erröthete, wenn man das Wort Kunſt aus¬
ſprach, ich fühlte mich unwürdig, und das,
was mir vorher als das Göttlichſte erſchien,
kam mir nun als ein müßiges, zeitverder¬
bendes Spielwerk vor, als eine Anmaßung
über die leidende und arbeitende Menſch¬
heit. Ich war meines Daſeyns überdrüßig.

Einer meiner Freunde, der mir vielleicht
geholfen hätte, war verreiſ't. Ich überließ
mich der Verzweiflung. Meine Gattin ſtarb
im Wochenbette, das Kind war todt. Ich
lag in der Kammer neben an, und alles
erloſch vor meinen Augen. Alles, was mich
geliebt hatte, trat in einer fürchterlichen
Gleichgültigkeit auf mich zu: alles, was ich
für mein gehalten hatte, nahm wie Fremd¬
ling von mir auf immer Abſchied.

Alle Geſtalten der Welt, alles, was
ſich je in meinem Innern bewegt hatte,
verwirrte ſich verwildert durch einander. Es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0144" n="136"/>
erröthete, wenn man das Wort Kun&#x017F;t aus¬<lb/>
&#x017F;prach, ich fühlte mich unwürdig, und das,<lb/>
was mir vorher als das Göttlich&#x017F;te er&#x017F;chien,<lb/>
kam mir nun als ein müßiges, zeitverder¬<lb/>
bendes Spielwerk vor, als eine Anmaßung<lb/>
über die leidende und arbeitende Men&#x017F;ch¬<lb/>
heit. Ich war meines Da&#x017F;eyns überdrüßig.</p><lb/>
          <p>Einer meiner Freunde, der mir vielleicht<lb/>
geholfen hätte, war verrei&#x017F;'t. Ich überließ<lb/>
mich der Verzweiflung. Meine Gattin &#x017F;tarb<lb/>
im Wochenbette, das Kind war todt. Ich<lb/>
lag in der Kammer neben an, und alles<lb/>
erlo&#x017F;ch vor meinen Augen. Alles, was mich<lb/>
geliebt hatte, trat in einer fürchterlichen<lb/>
Gleichgültigkeit auf mich zu: alles, was ich<lb/>
für mein gehalten hatte, nahm wie Fremd¬<lb/>
ling von mir auf immer Ab&#x017F;chied.</p><lb/>
          <p>Alle Ge&#x017F;talten der Welt, alles, was<lb/>
&#x017F;ich je in meinem Innern bewegt hatte,<lb/>
verwirrte &#x017F;ich verwildert durch einander. Es<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0144] erröthete, wenn man das Wort Kunſt aus¬ ſprach, ich fühlte mich unwürdig, und das, was mir vorher als das Göttlichſte erſchien, kam mir nun als ein müßiges, zeitverder¬ bendes Spielwerk vor, als eine Anmaßung über die leidende und arbeitende Menſch¬ heit. Ich war meines Daſeyns überdrüßig. Einer meiner Freunde, der mir vielleicht geholfen hätte, war verreiſ't. Ich überließ mich der Verzweiflung. Meine Gattin ſtarb im Wochenbette, das Kind war todt. Ich lag in der Kammer neben an, und alles erloſch vor meinen Augen. Alles, was mich geliebt hatte, trat in einer fürchterlichen Gleichgültigkeit auf mich zu: alles, was ich für mein gehalten hatte, nahm wie Fremd¬ ling von mir auf immer Abſchied. Alle Geſtalten der Welt, alles, was ſich je in meinem Innern bewegt hatte, verwirrte ſich verwildert durch einander. Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/144
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/144>, abgerufen am 23.11.2024.