Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

niemals um die Natur zu thun, sondern ich
suche den Charakter oder die Physiognomie
herauszufühlen, und irgend einen frommen
Gedanken hineinzulegen, der die Landschaft
wieder in eine schöne Historie verwandelt.

Er machte hierauf den jungen Mahler
auf eine Landschaft aufmerksam, die etwas
abseits hing. Es war eine Nachtscene, Wald,
Berg und Thal lag in unkenntlichen Massen
durch einander, schwarze Wolken tief vom
Himmel hinunter. Ein Pilgram ging durch
die Nacht, an seinem Stabe, an seinen Mu¬
scheln am Hute kennbar: um ihn zog sich
das dichteste Dunkel, er selber nur von ver¬
stohlenen Mondstrahlen erschimmert; ein fin¬
sterer Hohlweg deutete sich an, oben auf ei¬
nem Hügel von fern her glänzte ein Cruci¬
fix, um das sich die Wolken theilten; ein
Strahlenregen vom Monde ergoß sich, und
spielte um das heilige Zeichen.

niemals um die Natur zu thun, ſondern ich
ſuche den Charakter oder die Phyſiognomie
herauszufühlen, und irgend einen frommen
Gedanken hineinzulegen, der die Landſchaft
wieder in eine ſchöne Hiſtorie verwandelt.

Er machte hierauf den jungen Mahler
auf eine Landſchaft aufmerkſam, die etwas
abſeits hing. Es war eine Nachtſcene, Wald,
Berg und Thal lag in unkenntlichen Maſſen
durch einander, ſchwarze Wolken tief vom
Himmel hinunter. Ein Pilgram ging durch
die Nacht, an ſeinem Stabe, an ſeinen Mu¬
ſcheln am Hute kennbar: um ihn zog ſich
das dichteſte Dunkel, er ſelber nur von ver¬
ſtohlenen Mondſtrahlen erſchimmert; ein fin¬
ſterer Hohlweg deutete ſich an, oben auf ei¬
nem Hügel von fern her glänzte ein Cruci¬
fix, um das ſich die Wolken theilten; ein
Strahlenregen vom Monde ergoß ſich, und
ſpielte um das heilige Zeichen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0130" n="122"/>
niemals um die Natur zu thun, &#x017F;ondern ich<lb/>
&#x017F;uche den Charakter oder die Phy&#x017F;iognomie<lb/>
herauszufühlen, und irgend einen frommen<lb/>
Gedanken hineinzulegen, der die Land&#x017F;chaft<lb/>
wieder in eine &#x017F;chöne Hi&#x017F;torie verwandelt.</p><lb/>
          <p>Er machte hierauf den jungen Mahler<lb/>
auf eine Land&#x017F;chaft aufmerk&#x017F;am, die etwas<lb/>
ab&#x017F;eits hing. Es war eine Nacht&#x017F;cene, Wald,<lb/>
Berg und Thal lag in unkenntlichen Ma&#x017F;&#x017F;en<lb/>
durch einander, &#x017F;chwarze Wolken tief vom<lb/>
Himmel hinunter. Ein Pilgram ging durch<lb/>
die Nacht, an &#x017F;einem Stabe, an &#x017F;einen Mu¬<lb/>
&#x017F;cheln am Hute kennbar: um ihn zog &#x017F;ich<lb/>
das dichte&#x017F;te Dunkel, er &#x017F;elber nur von ver¬<lb/>
&#x017F;tohlenen Mond&#x017F;trahlen er&#x017F;chimmert; ein fin¬<lb/>
&#x017F;terer Hohlweg deutete &#x017F;ich an, oben auf ei¬<lb/>
nem Hügel von fern her glänzte ein Cruci¬<lb/>
fix, um das &#x017F;ich die Wolken theilten; ein<lb/>
Strahlenregen vom Monde ergoß &#x017F;ich, und<lb/>
&#x017F;pielte um das heilige Zeichen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0130] niemals um die Natur zu thun, ſondern ich ſuche den Charakter oder die Phyſiognomie herauszufühlen, und irgend einen frommen Gedanken hineinzulegen, der die Landſchaft wieder in eine ſchöne Hiſtorie verwandelt. Er machte hierauf den jungen Mahler auf eine Landſchaft aufmerkſam, die etwas abſeits hing. Es war eine Nachtſcene, Wald, Berg und Thal lag in unkenntlichen Maſſen durch einander, ſchwarze Wolken tief vom Himmel hinunter. Ein Pilgram ging durch die Nacht, an ſeinem Stabe, an ſeinen Mu¬ ſcheln am Hute kennbar: um ihn zog ſich das dichteſte Dunkel, er ſelber nur von ver¬ ſtohlenen Mondſtrahlen erſchimmert; ein fin¬ ſterer Hohlweg deutete ſich an, oben auf ei¬ nem Hügel von fern her glänzte ein Cruci¬ fix, um das ſich die Wolken theilten; ein Strahlenregen vom Monde ergoß ſich, und ſpielte um das heilige Zeichen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/130
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/130>, abgerufen am 19.04.2024.