Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Natur nur ahnden lassen, wenn die Natur
uns die Ahndung der Gottheit giebt? Nicht
Ahndung, nicht Vorgefühl, urkräftige Em¬
pfindung selbst, sichtbar wandelt hier auf
Höhen und Tiefen die Religion, empfängt
und trägt mit gütigem Erbarmen auch mei¬
ne Anbetung. Die Hieroglyphe, die das
Höchste, die Gott bezeichnet, liegt da vor
mir in thätiger Wirksamkeit, in Arbeit, sich
selber aufzulösen und auszusprechen, ich
fühle die Bewegung, das Räthsel im Be¬
griff zu schwinden, -- und fühle meine
Menschheit. -- Die höchste Kunst kann sich
nur selbst erklären, sie ist ein Gesang, de¬
ren Inhalt nur sie selbst zu seyn vermag.

Ungern verließ Sternbald seine Begei¬
sterung, und die Gegend, die ihn entzückt
hatte, ja er trauerte über diese Worte, über
diese Gedanken, die er ausgesprochen, daß
er sie nicht immer in frischer Kraft aufbe¬

Natur nur ahnden laſſen, wenn die Natur
uns die Ahndung der Gottheit giebt? Nicht
Ahndung, nicht Vorgefühl, urkräftige Em¬
pfindung ſelbſt, ſichtbar wandelt hier auf
Höhen und Tiefen die Religion, empfängt
und trägt mit gütigem Erbarmen auch mei¬
ne Anbetung. Die Hieroglyphe, die das
Höchſte, die Gott bezeichnet, liegt da vor
mir in thätiger Wirkſamkeit, in Arbeit, ſich
ſelber aufzulöſen und auszuſprechen, ich
fühle die Bewegung, das Räthſel im Be¬
griff zu ſchwinden, — und fühle meine
Menſchheit. — Die höchſte Kunſt kann ſich
nur ſelbſt erklären, ſie iſt ein Geſang, de¬
ren Inhalt nur ſie ſelbſt zu ſeyn vermag.

Ungern verließ Sternbald ſeine Begei¬
ſterung, und die Gegend, die ihn entzückt
hatte, ja er trauerte über dieſe Worte, über
dieſe Gedanken, die er ausgeſprochen, daß
er ſie nicht immer in friſcher Kraft aufbe¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0116" n="108"/>
Natur nur ahnden la&#x017F;&#x017F;en, wenn die Natur<lb/>
uns die Ahndung der Gottheit giebt? Nicht<lb/>
Ahndung, nicht Vorgefühl, urkräftige Em¬<lb/>
pfindung &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ichtbar wandelt hier auf<lb/>
Höhen und Tiefen die Religion, empfängt<lb/>
und trägt mit gütigem Erbarmen auch mei¬<lb/>
ne Anbetung. Die Hieroglyphe, die das<lb/>
Höch&#x017F;te, die Gott bezeichnet, liegt da vor<lb/>
mir in thätiger Wirk&#x017F;amkeit, in Arbeit, &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elber aufzulö&#x017F;en und auszu&#x017F;prechen, ich<lb/>
fühle die Bewegung, das Räth&#x017F;el im Be¬<lb/>
griff zu &#x017F;chwinden, &#x2014; und fühle meine<lb/>
Men&#x017F;chheit. &#x2014; Die höch&#x017F;te Kun&#x017F;t kann &#x017F;ich<lb/>
nur &#x017F;elb&#x017F;t erklären, &#x017F;ie i&#x017F;t ein Ge&#x017F;ang, de¬<lb/>
ren Inhalt nur &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;eyn vermag.</p><lb/>
          <p>Ungern verließ Sternbald &#x017F;eine Begei¬<lb/>
&#x017F;terung, und die Gegend, die ihn entzückt<lb/>
hatte, ja er trauerte über die&#x017F;e Worte, über<lb/>
die&#x017F;e Gedanken, die er ausge&#x017F;prochen, daß<lb/>
er &#x017F;ie nicht immer in fri&#x017F;cher Kraft aufbe¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0116] Natur nur ahnden laſſen, wenn die Natur uns die Ahndung der Gottheit giebt? Nicht Ahndung, nicht Vorgefühl, urkräftige Em¬ pfindung ſelbſt, ſichtbar wandelt hier auf Höhen und Tiefen die Religion, empfängt und trägt mit gütigem Erbarmen auch mei¬ ne Anbetung. Die Hieroglyphe, die das Höchſte, die Gott bezeichnet, liegt da vor mir in thätiger Wirkſamkeit, in Arbeit, ſich ſelber aufzulöſen und auszuſprechen, ich fühle die Bewegung, das Räthſel im Be¬ griff zu ſchwinden, — und fühle meine Menſchheit. — Die höchſte Kunſt kann ſich nur ſelbſt erklären, ſie iſt ein Geſang, de¬ ren Inhalt nur ſie ſelbſt zu ſeyn vermag. Ungern verließ Sternbald ſeine Begei¬ ſterung, und die Gegend, die ihn entzückt hatte, ja er trauerte über dieſe Worte, über dieſe Gedanken, die er ausgeſprochen, daß er ſie nicht immer in friſcher Kraft aufbe¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/116
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/116>, abgerufen am 28.03.2024.