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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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wollte, als möchte er nun erfassen und fest¬
halten, wonach ihm die Sehnsucht so lange
gedrängt: die Wolken zogen unten am Ho¬
rizont durch den blauen Himmel, die Wie¬
derscheine und die Schatten streckten sich auf
den Wiesen aus, und wechselten mit ihren
Farben, fremde Wundertöne gingen den
Berg hinab, und Franz fühlte sich wie fest¬
gezaubert, wie ein Gebannter, den die zau¬
bernde Gewalt stehen heißt, und der sich
dem unsichtbaren Kreise, trotz alles Bestre¬
bens, nicht entreißen kann.

O, unmächtige Kunst! rief er aus, und
setzte sich auf eine grüne Felsenbank nieder;
wie lallend und kindisch sind Deine Töne,
gegen den vollen harmonischen Orgelgesang,
der aus den innersten Tiefen, aus Berg und
Thal und Wald und Stromesglanz in
schwellenden, steigenden Akkorden herauf¬
quillt. Ich höre, ich vernehme, wie der

wollte, als möchte er nun erfaſſen und feſt¬
halten, wonach ihm die Sehnſucht ſo lange
gedrängt: die Wolken zogen unten am Ho¬
rizont durch den blauen Himmel, die Wie¬
derſcheine und die Schatten ſtreckten ſich auf
den Wieſen aus, und wechſelten mit ihren
Farben, fremde Wundertöne gingen den
Berg hinab, und Franz fühlte ſich wie feſt¬
gezaubert, wie ein Gebannter, den die zau¬
bernde Gewalt ſtehen heißt, und der ſich
dem unſichtbaren Kreiſe, trotz alles Beſtre¬
bens, nicht entreißen kann.

O, unmächtige Kunſt! rief er aus, und
ſetzte ſich auf eine grüne Felſenbank nieder;
wie lallend und kindiſch ſind Deine Töne,
gegen den vollen harmoniſchen Orgelgeſang,
der aus den innerſten Tiefen, aus Berg und
Thal und Wald und Stromesglanz in
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quillt. Ich höre, ich vernehme, wie der

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[106/0114] wollte, als möchte er nun erfaſſen und feſt¬ halten, wonach ihm die Sehnſucht ſo lange gedrängt: die Wolken zogen unten am Ho¬ rizont durch den blauen Himmel, die Wie¬ derſcheine und die Schatten ſtreckten ſich auf den Wieſen aus, und wechſelten mit ihren Farben, fremde Wundertöne gingen den Berg hinab, und Franz fühlte ſich wie feſt¬ gezaubert, wie ein Gebannter, den die zau¬ bernde Gewalt ſtehen heißt, und der ſich dem unſichtbaren Kreiſe, trotz alles Beſtre¬ bens, nicht entreißen kann. O, unmächtige Kunſt! rief er aus, und ſetzte ſich auf eine grüne Felſenbank nieder; wie lallend und kindiſch ſind Deine Töne, gegen den vollen harmoniſchen Orgelgeſang, der aus den innerſten Tiefen, aus Berg und Thal und Wald und Stromesglanz in ſchwellenden, ſteigenden Akkorden herauf¬ quillt. Ich höre, ich vernehme, wie der

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/114>, abgerufen am 24.04.2024.