Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Rudolf fuhr fort: Ferdinand schwieg eine
Weile still, dann sagte er: Liebster Freund,
Deine Worte können mich auf keine Weise
beruhigen, und wenn Du mich und mein
Herz nur etwas kennst, so wirst Du auch
darauf gar nicht ausgehn. Ich gebe Dir
Recht, Du hast vollkommen vernünftig ge¬
sprochen; allein was ist mir damit geholfen?
Ich kann Dir nichts antworten, ich fühle
nur daß ich elend bin, wenn ich nicht gehe
und jenes Bild aufsuche, das meine Seele
ganz regiert. Denn könnt' ich hier vernünf¬
tig seyn, so würde ich gewiß nicht einen
Traum lieben; könnt' ich auf Deinen Rath
hören, so würde ich mich nicht in der Nacht
schlaflos auf meinem Lager wälzen. Denn
wenn ich nun auch wirklich die Helena, oder
die ägyptische Cleopatra liebte, mit der hei¬
ßen brennenden Liebe des Herzens; wenn
ich nun auch ginge, und sie in der weiten

T 2

Rudolf fuhr fort: Ferdinand ſchwieg eine
Weile ſtill, dann ſagte er: Liebſter Freund,
Deine Worte können mich auf keine Weiſe
beruhigen, und wenn Du mich und mein
Herz nur etwas kennſt, ſo wirſt Du auch
darauf gar nicht ausgehn. Ich gebe Dir
Recht, Du haſt vollkommen vernünftig ge¬
ſprochen; allein was iſt mir damit geholfen?
Ich kann Dir nichts antworten, ich fühle
nur daß ich elend bin, wenn ich nicht gehe
und jenes Bild aufſuche, das meine Seele
ganz regiert. Denn könnt' ich hier vernünf¬
tig ſeyn, ſo würde ich gewiß nicht einen
Traum lieben; könnt' ich auf Deinen Rath
hören, ſo würde ich mich nicht in der Nacht
ſchlaflos auf meinem Lager wälzen. Denn
wenn ich nun auch wirklich die Helena, oder
die ägyptiſche Cleopatra liebte, mit der hei¬
ßen brennenden Liebe des Herzens; wenn
ich nun auch ginge, und ſie in der weiten

T 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0302" n="291"/>
            <p>Rudolf fuhr fort: Ferdinand &#x017F;chwieg eine<lb/>
Weile &#x017F;till, dann &#x017F;agte er: Lieb&#x017F;ter Freund,<lb/>
Deine Worte können mich auf keine Wei&#x017F;e<lb/>
beruhigen, und wenn Du mich und mein<lb/>
Herz nur etwas kenn&#x017F;t, &#x017F;o wir&#x017F;t Du auch<lb/>
darauf gar nicht ausgehn. Ich gebe Dir<lb/>
Recht, Du ha&#x017F;t vollkommen vernünftig ge¬<lb/>
&#x017F;prochen; allein was i&#x017F;t mir damit geholfen?<lb/>
Ich kann Dir nichts antworten, ich fühle<lb/>
nur daß ich elend bin, wenn ich nicht gehe<lb/>
und jenes Bild auf&#x017F;uche, das meine Seele<lb/>
ganz regiert. Denn könnt' ich hier vernünf¬<lb/>
tig &#x017F;eyn, &#x017F;o würde ich gewiß nicht einen<lb/>
Traum lieben; könnt' ich auf Deinen Rath<lb/>
hören, &#x017F;o würde ich mich nicht in der Nacht<lb/>
&#x017F;chlaflos auf meinem Lager wälzen. Denn<lb/>
wenn ich nun auch wirklich die Helena, oder<lb/>
die ägypti&#x017F;che Cleopatra liebte, mit der hei¬<lb/>
ßen brennenden Liebe des Herzens; wenn<lb/>
ich nun auch ginge, und &#x017F;ie in der weiten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T 2<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0302] Rudolf fuhr fort: Ferdinand ſchwieg eine Weile ſtill, dann ſagte er: Liebſter Freund, Deine Worte können mich auf keine Weiſe beruhigen, und wenn Du mich und mein Herz nur etwas kennſt, ſo wirſt Du auch darauf gar nicht ausgehn. Ich gebe Dir Recht, Du haſt vollkommen vernünftig ge¬ ſprochen; allein was iſt mir damit geholfen? Ich kann Dir nichts antworten, ich fühle nur daß ich elend bin, wenn ich nicht gehe und jenes Bild aufſuche, das meine Seele ganz regiert. Denn könnt' ich hier vernünf¬ tig ſeyn, ſo würde ich gewiß nicht einen Traum lieben; könnt' ich auf Deinen Rath hören, ſo würde ich mich nicht in der Nacht ſchlaflos auf meinem Lager wälzen. Denn wenn ich nun auch wirklich die Helena, oder die ägyptiſche Cleopatra liebte, mit der hei¬ ßen brennenden Liebe des Herzens; wenn ich nun auch ginge, und ſie in der weiten T 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/302
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/302>, abgerufen am 22.11.2024.