Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

mählde besitze. Sie muß irgendwo seyn, sie
muß meine Liebe kennen lernen, und ich
sterbe dann entweder in öder Einsamkeit,
oder sie erwiedert diese Liebe.

Leopold stand lange staunend, und be¬
trachtete seinen Freund; endlich rief er aus:
Unglücklicher! Wohin hast Du Dich verirrt?
An diesen Schmerzen hat sich bisher viel¬
leicht noch keiner der Sterblichen verblutet.
Was soll ich Dir sagen? Wie soll ich Dir
rathen? Der Wahnsinn hat sich Deiner
schon bemeistert, und alle Hülfe kömmt zu
spät. Wenn nun das Original dieses Bil¬
des auf der ganzen weiten Erde nicht zu
finden ist! und wie leicht kann es bloß die
Imagination eines Mahlers seyn, die die¬
ses zierliche Köpfchen hervorgebracht hat!
oder sie kann gelebt haben, und ist nun
schon gestorben, oder sie ist die Gatinn ei¬
nes andern, und nun schon alt und voll

T

mählde beſitze. Sie muß irgendwo ſeyn, ſie
muß meine Liebe kennen lernen, und ich
ſterbe dann entweder in öder Einſamkeit,
oder ſie erwiedert dieſe Liebe.

Leopold ſtand lange ſtaunend, und be¬
trachtete ſeinen Freund; endlich rief er aus:
Unglücklicher! Wohin haſt Du Dich verirrt?
An dieſen Schmerzen hat ſich bisher viel¬
leicht noch keiner der Sterblichen verblutet.
Was ſoll ich Dir ſagen? Wie ſoll ich Dir
rathen? Der Wahnſinn hat ſich Deiner
ſchon bemeiſtert, und alle Hülfe kömmt zu
ſpät. Wenn nun das Original dieſes Bil¬
des auf der ganzen weiten Erde nicht zu
finden iſt! und wie leicht kann es bloß die
Imagination eines Mahlers ſeyn, die die¬
ſes zierliche Köpfchen hervorgebracht hat!
oder ſie kann gelebt haben, und iſt nun
ſchon geſtorben, oder ſie iſt die Gatinn ei¬
nes andern, und nun ſchon alt und voll

T
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0300" n="289"/>
mählde be&#x017F;itze. Sie muß irgendwo &#x017F;eyn, &#x017F;ie<lb/>
muß meine Liebe kennen lernen, und ich<lb/>
&#x017F;terbe dann entweder in öder Ein&#x017F;amkeit,<lb/>
oder &#x017F;ie erwiedert die&#x017F;e Liebe.</p><lb/>
            <p>Leopold &#x017F;tand lange &#x017F;taunend, und be¬<lb/>
trachtete &#x017F;einen Freund; endlich rief er aus:<lb/>
Unglücklicher! Wohin ha&#x017F;t Du Dich verirrt?<lb/>
An die&#x017F;en Schmerzen hat &#x017F;ich bisher viel¬<lb/>
leicht noch keiner der Sterblichen verblutet.<lb/>
Was &#x017F;oll ich Dir &#x017F;agen? Wie &#x017F;oll ich Dir<lb/>
rathen? Der Wahn&#x017F;inn hat &#x017F;ich Deiner<lb/>
&#x017F;chon bemei&#x017F;tert, und alle Hülfe kömmt zu<lb/>
&#x017F;pät. Wenn nun das Original die&#x017F;es Bil¬<lb/>
des auf der ganzen weiten Erde nicht zu<lb/>
finden i&#x017F;t! und wie leicht kann es bloß die<lb/>
Imagination eines Mahlers &#x017F;eyn, die die¬<lb/>
&#x017F;es zierliche Köpfchen hervorgebracht hat!<lb/>
oder &#x017F;ie kann gelebt haben, und i&#x017F;t nun<lb/>
&#x017F;chon ge&#x017F;torben, oder &#x017F;ie i&#x017F;t die Gatinn ei¬<lb/>
nes andern, und nun &#x017F;chon alt und voll<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0300] mählde beſitze. Sie muß irgendwo ſeyn, ſie muß meine Liebe kennen lernen, und ich ſterbe dann entweder in öder Einſamkeit, oder ſie erwiedert dieſe Liebe. Leopold ſtand lange ſtaunend, und be¬ trachtete ſeinen Freund; endlich rief er aus: Unglücklicher! Wohin haſt Du Dich verirrt? An dieſen Schmerzen hat ſich bisher viel¬ leicht noch keiner der Sterblichen verblutet. Was ſoll ich Dir ſagen? Wie ſoll ich Dir rathen? Der Wahnſinn hat ſich Deiner ſchon bemeiſtert, und alle Hülfe kömmt zu ſpät. Wenn nun das Original dieſes Bil¬ des auf der ganzen weiten Erde nicht zu finden iſt! und wie leicht kann es bloß die Imagination eines Mahlers ſeyn, die die¬ ſes zierliche Köpfchen hervorgebracht hat! oder ſie kann gelebt haben, und iſt nun ſchon geſtorben, oder ſie iſt die Gatinn ei¬ nes andern, und nun ſchon alt und voll T

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/300
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/300>, abgerufen am 25.11.2024.