Mondscheins. Franz fühlte sein Herz ge¬ öffnet, als er in einer Klause im Felsen einen Waldbruder wahrnahm, der andäch¬ tig die Augen zum Himmel aufhob und die Hände faltete. Franz trat näher: Hörst Du nicht die liebliche Orgel der Natur spie¬ len? sagte der Einsiedel, bete wie ich thue. Franz war von dem Anblicke hingerissen, aber er sah nun Tafel und Pallette vor sich und mahlte unbemerkt den Eremiten, seine Andacht, den Wald mit seinem Mondschim¬ mer, ja es gelang ihm sogar, und er konn¬ te nicht begreifen wie es kam, die Töne der Nachtigall in sein Gemählde hineinzubrin¬ gen. Er hatte noch nie eine solche Freude empfunden, und er nahm sich vor, wenn das Bild fertig sey, sogleich damit zu Dürer zu¬ rückzureisen, damit dieser es sehn und beur¬ theilen möge. Aber in einem Augenblicke verließ ihn die Lust weiter zu mahlen, die
Mondſcheins. Franz fühlte ſein Herz ge¬ öffnet, als er in einer Klauſe im Felſen einen Waldbruder wahrnahm, der andäch¬ tig die Augen zum Himmel aufhob und die Hände faltete. Franz trat näher: Hörſt Du nicht die liebliche Orgel der Natur ſpie¬ len? ſagte der Einſiedel, bete wie ich thue. Franz war von dem Anblicke hingeriſſen, aber er ſah nun Tafel und Pallette vor ſich und mahlte unbemerkt den Eremiten, ſeine Andacht, den Wald mit ſeinem Mondſchim¬ mer, ja es gelang ihm ſogar, und er konn¬ te nicht begreifen wie es kam, die Töne der Nachtigall in ſein Gemählde hineinzubrin¬ gen. Er hatte noch nie eine ſolche Freude empfunden, und er nahm ſich vor, wenn das Bild fertig ſey, ſogleich damit zu Dürer zu¬ rückzureiſen, damit dieſer es ſehn und beur¬ theilen möge. Aber in einem Augenblicke verließ ihn die Luſt weiter zu mahlen, die
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Mondſcheins. Franz fühlte ſein Herz ge¬
öffnet, als er in einer Klauſe im Felſen
einen Waldbruder wahrnahm, der andäch¬
tig die Augen zum Himmel aufhob und die
Hände faltete. Franz trat näher: Hörſt
Du nicht die liebliche Orgel der Natur ſpie¬
len? ſagte der Einſiedel, bete wie ich thue.
Franz war von dem Anblicke hingeriſſen,
aber er ſah nun Tafel und Pallette vor ſich
und mahlte unbemerkt den Eremiten, ſeine
Andacht, den Wald mit ſeinem Mondſchim¬
mer, ja es gelang ihm ſogar, und er konn¬
te nicht begreifen wie es kam, die Töne der
Nachtigall in ſein Gemählde hineinzubrin¬
gen. Er hatte noch nie eine ſolche Freude
empfunden, und er nahm ſich vor, wenn das
Bild fertig ſey, ſogleich damit zu Dürer zu¬
rückzureiſen, damit dieſer es ſehn und beur¬
theilen möge. Aber in einem Augenblicke
verließ ihn die Luſt weiter zu mahlen, die
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Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/183>, abgerufen am 24.11.2024.
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