Jetzt hatte die Glocke zum letzenmahle geläutet, die Kirche war schon angefüllt, Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnli¬ chen Platz eingenommen. Franz stellte sich in die Mitte der kleinen Kirche und das Orgelspiel und der Gesang hub an; die Kirchthür Franzen gegen über war offen, und das Gesäusel der Bäume tönte herein. Franz war in Andacht verlohren, der Ge¬ sang zog wie mit Wogen durch die Kirche, die ernsten Töne der Orgel schwollen maje¬ stätisch herauf, und sprachen wie ein melo¬ discher Sturmwind auf die Hörer herab; aller Augen waren während des Gesanges nach dem neuen Bilde gerichtet. Franz sah auch hin und erstaunte über die Schönheit und rührende Bedeutsamkeit seiner Figuren, sie waren nicht mehr die seinigen, sondern
glaubt, Leiden, Unglück oder Freuden zu ahnden.
Jetzt hatte die Glocke zum letzenmahle geläutet, die Kirche war ſchon angefüllt, Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnli¬ chen Platz eingenommen. Franz ſtellte ſich in die Mitte der kleinen Kirche und das Orgelſpiel und der Geſang hub an; die Kirchthür Franzen gegen über war offen, und das Geſäuſel der Bäume tönte herein. Franz war in Andacht verlohren, der Ge¬ ſang zog wie mit Wogen durch die Kirche, die ernſten Töne der Orgel ſchwollen maje¬ ſtätiſch herauf, und ſprachen wie ein melo¬ diſcher Sturmwind auf die Hörer herab; aller Augen waren während des Geſanges nach dem neuen Bilde gerichtet. Franz ſah auch hin und erſtaunte über die Schönheit und rührende Bedeutſamkeit ſeiner Figuren, ſie waren nicht mehr die ſeinigen, ſondern
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0141"n="130"/>
glaubt, Leiden, Unglück oder Freuden zu<lb/>
ahnden.</p><lb/><p>Jetzt hatte die Glocke zum letzenmahle<lb/>
geläutet, die Kirche war ſchon angefüllt,<lb/>
Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnli¬<lb/>
chen Platz eingenommen. Franz ſtellte ſich<lb/>
in die Mitte der kleinen Kirche und das<lb/>
Orgelſpiel und der Geſang hub an; die<lb/>
Kirchthür Franzen gegen über war offen,<lb/>
und das Geſäuſel der Bäume tönte herein.<lb/>
Franz war in Andacht verlohren, der Ge¬<lb/>ſang zog wie mit Wogen durch die Kirche,<lb/>
die ernſten Töne der Orgel ſchwollen maje¬<lb/>ſtätiſch herauf, und ſprachen wie ein melo¬<lb/>
diſcher Sturmwind auf die Hörer herab;<lb/>
aller Augen waren während des Geſanges<lb/>
nach dem neuen Bilde gerichtet. Franz ſah<lb/>
auch hin und erſtaunte über die Schönheit<lb/>
und rührende Bedeutſamkeit ſeiner Figuren,<lb/>ſie waren nicht mehr die ſeinigen, ſondern<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[130/0141]
glaubt, Leiden, Unglück oder Freuden zu
ahnden.
Jetzt hatte die Glocke zum letzenmahle
geläutet, die Kirche war ſchon angefüllt,
Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnli¬
chen Platz eingenommen. Franz ſtellte ſich
in die Mitte der kleinen Kirche und das
Orgelſpiel und der Geſang hub an; die
Kirchthür Franzen gegen über war offen,
und das Geſäuſel der Bäume tönte herein.
Franz war in Andacht verlohren, der Ge¬
ſang zog wie mit Wogen durch die Kirche,
die ernſten Töne der Orgel ſchwollen maje¬
ſtätiſch herauf, und ſprachen wie ein melo¬
diſcher Sturmwind auf die Hörer herab;
aller Augen waren während des Geſanges
nach dem neuen Bilde gerichtet. Franz ſah
auch hin und erſtaunte über die Schönheit
und rührende Bedeutſamkeit ſeiner Figuren,
ſie waren nicht mehr die ſeinigen, ſondern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/141>, abgerufen am 06.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.