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Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

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glaubt, Leiden, Unglück oder Freuden zu
ahnden.

Jetzt hatte die Glocke zum letzenmahle
geläutet, die Kirche war schon angefüllt,
Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnli¬
chen Platz eingenommen. Franz stellte sich
in die Mitte der kleinen Kirche und das
Orgelspiel und der Gesang hub an; die
Kirchthür Franzen gegen über war offen,
und das Gesäusel der Bäume tönte herein.
Franz war in Andacht verlohren, der Ge¬
sang zog wie mit Wogen durch die Kirche,
die ernsten Töne der Orgel schwollen maje¬
stätisch herauf, und sprachen wie ein melo¬
discher Sturmwind auf die Hörer herab;
aller Augen waren während des Gesanges
nach dem neuen Bilde gerichtet. Franz sah
auch hin und erstaunte über die Schönheit
und rührende Bedeutsamkeit seiner Figuren,
sie waren nicht mehr die seinigen, sondern

glaubt, Leiden, Unglück oder Freuden zu
ahnden.

Jetzt hatte die Glocke zum letzenmahle
geläutet, die Kirche war ſchon angefüllt,
Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnli¬
chen Platz eingenommen. Franz ſtellte ſich
in die Mitte der kleinen Kirche und das
Orgelſpiel und der Geſang hub an; die
Kirchthür Franzen gegen über war offen,
und das Geſäuſel der Bäume tönte herein.
Franz war in Andacht verlohren, der Ge¬
ſang zog wie mit Wogen durch die Kirche,
die ernſten Töne der Orgel ſchwollen maje¬
ſtätiſch herauf, und ſprachen wie ein melo¬
diſcher Sturmwind auf die Hörer herab;
aller Augen waren während des Geſanges
nach dem neuen Bilde gerichtet. Franz ſah
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und rührende Bedeutſamkeit ſeiner Figuren,
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[130/0141] glaubt, Leiden, Unglück oder Freuden zu ahnden. Jetzt hatte die Glocke zum letzenmahle geläutet, die Kirche war ſchon angefüllt, Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnli¬ chen Platz eingenommen. Franz ſtellte ſich in die Mitte der kleinen Kirche und das Orgelſpiel und der Geſang hub an; die Kirchthür Franzen gegen über war offen, und das Geſäuſel der Bäume tönte herein. Franz war in Andacht verlohren, der Ge¬ ſang zog wie mit Wogen durch die Kirche, die ernſten Töne der Orgel ſchwollen maje¬ ſtätiſch herauf, und ſprachen wie ein melo¬ diſcher Sturmwind auf die Hörer herab; aller Augen waren während des Geſanges nach dem neuen Bilde gerichtet. Franz ſah auch hin und erſtaunte über die Schönheit und rührende Bedeutſamkeit ſeiner Figuren, ſie waren nicht mehr die ſeinigen, ſondern

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/141>, abgerufen am 27.11.2024.