Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweite Abtheilung.
chen wir schon neulich. Seitdem ist in Wien
der Komiker Weidmann, so wie der berühmte
Brockmann gestorben. Diesen letztern sah ich
in Collins Regulus die Hauptperson so meister-
haft darstellen, daß man die treffliche Schule
und den vielerfahrnen vollendeten Künstler in
ihm erkannte. Diese Tragödie wurde fast durch-
gehends musterhaft gegeben, Ziegler erreichte
als Tribun, besonders in der Rede, das Voll-
kommenste, was der Zuschauer erwarten darf.
In einigen jovialischen heitern Rollen, die Brock-
mann mit freier Laune, aber sehr gehalten gab,
erinnerte er mich an Schröders Spiel. In
Weidmann hat Wien einen unersetzlichen komi-
schen Schauspieler verloren, diese Wahrheit und
Natur war mir für gewisse Rollen noch nie vor-
gekommen, jeder Schritt, Wink, Ton war be-
deutend; aber so ungesucht, daß man beim Auf-
treten jedesmal den Schauspieler völlig vergaß,
und zu glauben versucht wurde, er spiele sich
nur selbst, er sey zufällig gerade ein solcher
Mensch; so recht innig wohl und heiter fühlte
man sich, so ganz befriedigt, ohne an die Kunst
erinnert zu werden. Ich sah ihn als Bitter-
mann, nachdem ich am Abend vorher Iffland,
der damals in Wien war, in derselben Rolle ge-
sehn hatte. Für mich war keine Frage darüber,
wer der größere Komiker sey, obgleich jene ge-
kniffene, an manchen Stellen scharf accentuirte

Zweite Abtheilung.
chen wir ſchon neulich. Seitdem iſt in Wien
der Komiker Weidmann, ſo wie der beruͤhmte
Brockmann geſtorben. Dieſen letztern ſah ich
in Collins Regulus die Hauptperſon ſo meiſter-
haft darſtellen, daß man die treffliche Schule
und den vielerfahrnen vollendeten Kuͤnſtler in
ihm erkannte. Dieſe Tragoͤdie wurde faſt durch-
gehends muſterhaft gegeben, Ziegler erreichte
als Tribun, beſonders in der Rede, das Voll-
kommenſte, was der Zuſchauer erwarten darf.
In einigen jovialiſchen heitern Rollen, die Brock-
mann mit freier Laune, aber ſehr gehalten gab,
erinnerte er mich an Schroͤders Spiel. In
Weidmann hat Wien einen unerſetzlichen komi-
ſchen Schauſpieler verloren, dieſe Wahrheit und
Natur war mir fuͤr gewiſſe Rollen noch nie vor-
gekommen, jeder Schritt, Wink, Ton war be-
deutend; aber ſo ungeſucht, daß man beim Auf-
treten jedesmal den Schauſpieler voͤllig vergaß,
und zu glauben verſucht wurde, er ſpiele ſich
nur ſelbſt, er ſey zufaͤllig gerade ein ſolcher
Menſch; ſo recht innig wohl und heiter fuͤhlte
man ſich, ſo ganz befriedigt, ohne an die Kunſt
erinnert zu werden. Ich ſah ihn als Bitter-
mann, nachdem ich am Abend vorher Iffland,
der damals in Wien war, in derſelben Rolle ge-
ſehn hatte. Fuͤr mich war keine Frage daruͤber,
wer der groͤßere Komiker ſey, obgleich jene ge-
kniffene, an manchen Stellen ſcharf accentuirte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0527" n="517"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
chen wir &#x017F;chon neulich. Seitdem i&#x017F;t in Wien<lb/>
der Komiker Weidmann, &#x017F;o wie der beru&#x0364;hmte<lb/>
Brockmann ge&#x017F;torben. Die&#x017F;en letztern &#x017F;ah ich<lb/>
in Collins Regulus die Hauptper&#x017F;on &#x017F;o mei&#x017F;ter-<lb/>
haft dar&#x017F;tellen, daß man die treffliche Schule<lb/>
und den vielerfahrnen vollendeten Ku&#x0364;n&#x017F;tler in<lb/>
ihm erkannte. Die&#x017F;e Trago&#x0364;die wurde fa&#x017F;t durch-<lb/>
gehends mu&#x017F;terhaft gegeben, Ziegler erreichte<lb/>
als Tribun, be&#x017F;onders in der Rede, das Voll-<lb/>
kommen&#x017F;te, was der Zu&#x017F;chauer erwarten darf.<lb/>
In einigen joviali&#x017F;chen heitern Rollen, die Brock-<lb/>
mann mit freier Laune, aber &#x017F;ehr gehalten gab,<lb/>
erinnerte er mich an Schro&#x0364;ders Spiel. In<lb/>
Weidmann hat Wien einen uner&#x017F;etzlichen komi-<lb/>
&#x017F;chen Schau&#x017F;pieler verloren, die&#x017F;e Wahrheit und<lb/>
Natur war mir fu&#x0364;r gewi&#x017F;&#x017F;e Rollen noch nie vor-<lb/>
gekommen, jeder Schritt, Wink, Ton war be-<lb/>
deutend; aber &#x017F;o unge&#x017F;ucht, daß man beim Auf-<lb/>
treten jedesmal den Schau&#x017F;pieler vo&#x0364;llig vergaß,<lb/>
und zu glauben ver&#x017F;ucht wurde, er &#x017F;piele &#x017F;ich<lb/>
nur &#x017F;elb&#x017F;t, er &#x017F;ey zufa&#x0364;llig gerade ein &#x017F;olcher<lb/>
Men&#x017F;ch; &#x017F;o recht innig wohl und heiter fu&#x0364;hlte<lb/>
man &#x017F;ich, &#x017F;o ganz befriedigt, ohne an die Kun&#x017F;t<lb/>
erinnert zu werden. Ich &#x017F;ah ihn als Bitter-<lb/>
mann, nachdem ich am Abend vorher Iffland,<lb/>
der damals in Wien war, in der&#x017F;elben Rolle ge-<lb/>
&#x017F;ehn hatte. Fu&#x0364;r mich war keine Frage daru&#x0364;ber,<lb/>
wer der gro&#x0364;ßere Komiker &#x017F;ey, obgleich jene ge-<lb/>
kniffene, an manchen Stellen &#x017F;charf accentuirte<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[517/0527] Zweite Abtheilung. chen wir ſchon neulich. Seitdem iſt in Wien der Komiker Weidmann, ſo wie der beruͤhmte Brockmann geſtorben. Dieſen letztern ſah ich in Collins Regulus die Hauptperſon ſo meiſter- haft darſtellen, daß man die treffliche Schule und den vielerfahrnen vollendeten Kuͤnſtler in ihm erkannte. Dieſe Tragoͤdie wurde faſt durch- gehends muſterhaft gegeben, Ziegler erreichte als Tribun, beſonders in der Rede, das Voll- kommenſte, was der Zuſchauer erwarten darf. In einigen jovialiſchen heitern Rollen, die Brock- mann mit freier Laune, aber ſehr gehalten gab, erinnerte er mich an Schroͤders Spiel. In Weidmann hat Wien einen unerſetzlichen komi- ſchen Schauſpieler verloren, dieſe Wahrheit und Natur war mir fuͤr gewiſſe Rollen noch nie vor- gekommen, jeder Schritt, Wink, Ton war be- deutend; aber ſo ungeſucht, daß man beim Auf- treten jedesmal den Schauſpieler voͤllig vergaß, und zu glauben verſucht wurde, er ſpiele ſich nur ſelbſt, er ſey zufaͤllig gerade ein ſolcher Menſch; ſo recht innig wohl und heiter fuͤhlte man ſich, ſo ganz befriedigt, ohne an die Kunſt erinnert zu werden. Ich ſah ihn als Bitter- mann, nachdem ich am Abend vorher Iffland, der damals in Wien war, in derſelben Rolle ge- ſehn hatte. Fuͤr mich war keine Frage daruͤber, wer der groͤßere Komiker ſey, obgleich jene ge- kniffene, an manchen Stellen ſcharf accentuirte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/527
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/527>, abgerufen am 23.11.2024.