Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweite Abtheilung.
rafft, und nun noch Donnertöne ausstößt, wie
sie vorher noch nicht gehört waren. Alles, was
Hamlet von der Gewalt sagt, die ein Schauspie-
ler, der selbst das Entsetzliche erlebt hätte, über die
Gemüther haben müßte, alle jene dort geschil-
derten Wirkungen traten in dieser Scene wört-
lich und buchstäblich ein.

Wohl ist der glücklich zu nennen, sagte
Clara, der diese großen Erscheinungen gesehn
und oft von ihnen bewegt ist.

In diesen Gedichten, fuhr Lothar fort, so
wie im Wittelsbacher, in den er eine erhabene
Naivetät legte, wie in vielen andern, war er
durch die Kraft seiner Phantasie gleich auf den
wichtigen und höchsten Punkt gestellt, und es
war, als wenn ein höherer Genius aus ihm
sprach und sich gebehrdete. Und so kann man
vielleicht sagen, daß er seine Darstellung nicht
erfand und schuf: mancher möchte es vielleicht
lieber ausdrücken, daß das Gedicht und die Art
es auszudrücken ihn geschaffen haben. Will man
nun hieran den alten Streit knüpfen, daß ein
solcher kein Künstler zu nennen sey, will man
diesen Namen jenem Besonnenen ausschließlich
beilegen, so weiß ich hierauf nichts zu antwor-
ten, aber das weiß ich, daß der Besonnene auf
seinem Wege nie erfinden und bilden kann, was
ich von diesem gesehn und erlebt habe. So er-
füllen nach meiner Meinung Schröder und Fleck
das Höchste der deutschen Kunst, jeder den an-

Zweite Abtheilung.
rafft, und nun noch Donnertoͤne ausſtoͤßt, wie
ſie vorher noch nicht gehoͤrt waren. Alles, was
Hamlet von der Gewalt ſagt, die ein Schauſpie-
ler, der ſelbſt das Entſetzliche erlebt haͤtte, uͤber die
Gemuͤther haben muͤßte, alle jene dort geſchil-
derten Wirkungen traten in dieſer Scene woͤrt-
lich und buchſtaͤblich ein.

Wohl iſt der gluͤcklich zu nennen, ſagte
Clara, der dieſe großen Erſcheinungen geſehn
und oft von ihnen bewegt iſt.

In dieſen Gedichten, fuhr Lothar fort, ſo
wie im Wittelsbacher, in den er eine erhabene
Naivetaͤt legte, wie in vielen andern, war er
durch die Kraft ſeiner Phantaſie gleich auf den
wichtigen und hoͤchſten Punkt geſtellt, und es
war, als wenn ein hoͤherer Genius aus ihm
ſprach und ſich gebehrdete. Und ſo kann man
vielleicht ſagen, daß er ſeine Darſtellung nicht
erfand und ſchuf: mancher moͤchte es vielleicht
lieber ausdruͤcken, daß das Gedicht und die Art
es auszudruͤcken ihn geſchaffen haben. Will man
nun hieran den alten Streit knuͤpfen, daß ein
ſolcher kein Kuͤnſtler zu nennen ſey, will man
dieſen Namen jenem Beſonnenen ausſchließlich
beilegen, ſo weiß ich hierauf nichts zu antwor-
ten, aber das weiß ich, daß der Beſonnene auf
ſeinem Wege nie erfinden und bilden kann, was
ich von dieſem geſehn und erlebt habe. So er-
fuͤllen nach meiner Meinung Schroͤder und Fleck
das Hoͤchſte der deutſchen Kunſt, jeder den an-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0520" n="510"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
rafft, und nun noch Donnerto&#x0364;ne aus&#x017F;to&#x0364;ßt, wie<lb/>
&#x017F;ie vorher noch nicht geho&#x0364;rt waren. Alles, was<lb/>
Hamlet von der Gewalt &#x017F;agt, die ein Schau&#x017F;pie-<lb/>
ler, der &#x017F;elb&#x017F;t das Ent&#x017F;etzliche erlebt ha&#x0364;tte, u&#x0364;ber die<lb/>
Gemu&#x0364;ther haben mu&#x0364;ßte, alle jene dort ge&#x017F;chil-<lb/>
derten Wirkungen traten in die&#x017F;er Scene wo&#x0364;rt-<lb/>
lich und buch&#x017F;ta&#x0364;blich ein.</p><lb/>
              <p>Wohl i&#x017F;t der glu&#x0364;cklich zu nennen, &#x017F;agte<lb/>
Clara, der die&#x017F;e großen Er&#x017F;cheinungen ge&#x017F;ehn<lb/>
und oft von ihnen bewegt i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>In die&#x017F;en Gedichten, fuhr Lothar fort, &#x017F;o<lb/>
wie im Wittelsbacher, in den er eine erhabene<lb/>
Naiveta&#x0364;t legte, wie in vielen andern, war er<lb/>
durch die Kraft &#x017F;einer Phanta&#x017F;ie gleich auf den<lb/>
wichtigen und ho&#x0364;ch&#x017F;ten Punkt ge&#x017F;tellt, und es<lb/>
war, als wenn ein ho&#x0364;herer Genius aus ihm<lb/>
&#x017F;prach und &#x017F;ich gebehrdete. Und &#x017F;o kann man<lb/>
vielleicht &#x017F;agen, daß er &#x017F;eine Dar&#x017F;tellung nicht<lb/>
erfand und &#x017F;chuf: mancher mo&#x0364;chte es vielleicht<lb/>
lieber ausdru&#x0364;cken, daß das Gedicht und die Art<lb/>
es auszudru&#x0364;cken ihn ge&#x017F;chaffen haben. Will man<lb/>
nun hieran den alten Streit knu&#x0364;pfen, daß ein<lb/>
&#x017F;olcher kein Ku&#x0364;n&#x017F;tler zu nennen &#x017F;ey, will man<lb/>
die&#x017F;en Namen jenem Be&#x017F;onnenen aus&#x017F;chließlich<lb/>
beilegen, &#x017F;o weiß ich hierauf nichts zu antwor-<lb/>
ten, aber das weiß ich, daß der Be&#x017F;onnene auf<lb/>
&#x017F;einem Wege nie erfinden und bilden kann, was<lb/>
ich von die&#x017F;em ge&#x017F;ehn und erlebt habe. So er-<lb/>
fu&#x0364;llen nach meiner Meinung Schro&#x0364;der und Fleck<lb/>
das Ho&#x0364;ch&#x017F;te der deut&#x017F;chen Kun&#x017F;t, jeder den an-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[510/0520] Zweite Abtheilung. rafft, und nun noch Donnertoͤne ausſtoͤßt, wie ſie vorher noch nicht gehoͤrt waren. Alles, was Hamlet von der Gewalt ſagt, die ein Schauſpie- ler, der ſelbſt das Entſetzliche erlebt haͤtte, uͤber die Gemuͤther haben muͤßte, alle jene dort geſchil- derten Wirkungen traten in dieſer Scene woͤrt- lich und buchſtaͤblich ein. Wohl iſt der gluͤcklich zu nennen, ſagte Clara, der dieſe großen Erſcheinungen geſehn und oft von ihnen bewegt iſt. In dieſen Gedichten, fuhr Lothar fort, ſo wie im Wittelsbacher, in den er eine erhabene Naivetaͤt legte, wie in vielen andern, war er durch die Kraft ſeiner Phantaſie gleich auf den wichtigen und hoͤchſten Punkt geſtellt, und es war, als wenn ein hoͤherer Genius aus ihm ſprach und ſich gebehrdete. Und ſo kann man vielleicht ſagen, daß er ſeine Darſtellung nicht erfand und ſchuf: mancher moͤchte es vielleicht lieber ausdruͤcken, daß das Gedicht und die Art es auszudruͤcken ihn geſchaffen haben. Will man nun hieran den alten Streit knuͤpfen, daß ein ſolcher kein Kuͤnſtler zu nennen ſey, will man dieſen Namen jenem Beſonnenen ausſchließlich beilegen, ſo weiß ich hierauf nichts zu antwor- ten, aber das weiß ich, daß der Beſonnene auf ſeinem Wege nie erfinden und bilden kann, was ich von dieſem geſehn und erlebt habe. So er- fuͤllen nach meiner Meinung Schroͤder und Fleck das Hoͤchſte der deutſchen Kunſt, jeder den an-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/520
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/520>, abgerufen am 02.05.2024.