Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweite Abtheilung.
Sekretär. Ich bin ganz dumm geworden
und irre an mir selbst; und nun alles wieder ins
Reine zu schreiben! Und wer es nur lesen könnte!
Wir müssen die Akten aus allen Fenstern hinaus
hängen, daß die Sonne sie wieder trocknen kann.

Der Präsident tritt herein.
Präsident. Was giebt es hier für Ver-
wirrung, meine Herren?
1. Rath. Wir hatten hier das sonderbarste
Verhör von der Welt, Herr Präsident, sechs Klä-
ger brachten in diesen Saal Niemand anders her-
ein, als die Göttinn des Glücks, die berühmte For-
tuna, ihr folgte ein wilder fataler Kerl als Diener,
der Zufall, der hier auch alles durch einander ge-
worfen hat, so daß wir viele Mühe werden anwen-
den müssen, um die alte Ordnung wieder herzustellen.
Präsident. Wie? Und sie haben die Leute
wieder fort gelassen? Himmel! festhalten hätten
Sie sie müssen; die Frau hätte uns Weisheit abge-
liefert für ewige Zeiten, bis zu den letzten Kanzel-
listen hinab hätten alle Salomo's werden müssen,
und Geld, Geld, welches wir alle so höchst nöthig
brauchen, um unsre Verbesserungen in den Gang
zu bringen: eine lebendige, unerschöpfliche Münze
hätte sie uns werden müssen. Und den Zufall, den
verderblichen, der oft die besten, klügsten Plane
vernichtet, der so oft aller Weisheit spottet, der
schon so viel Unheil über die Welt gebracht hat,
ihn hätten wir bei Wasser und Brod dort im tief-
sten Loch des Thurmes festgesetzt, man hätte ihn so
nach und nach verkommen und verderben lassen, daß
Zweite Abtheilung.
Sekretaͤr. Ich bin ganz dumm geworden
und irre an mir ſelbſt; und nun alles wieder ins
Reine zu ſchreiben! Und wer es nur leſen koͤnnte!
Wir muͤſſen die Akten aus allen Fenſtern hinaus
haͤngen, daß die Sonne ſie wieder trocknen kann.

Der Praͤſident tritt herein.
Praͤſident. Was giebt es hier fuͤr Ver-
wirrung, meine Herren?
1. Rath. Wir hatten hier das ſonderbarſte
Verhoͤr von der Welt, Herr Praͤſident, ſechs Klaͤ-
ger brachten in dieſen Saal Niemand anders her-
ein, als die Goͤttinn des Gluͤcks, die beruͤhmte For-
tuna, ihr folgte ein wilder fataler Kerl als Diener,
der Zufall, der hier auch alles durch einander ge-
worfen hat, ſo daß wir viele Muͤhe werden anwen-
den muͤſſen, um die alte Ordnung wieder herzuſtellen.
Praͤſident. Wie? Und ſie haben die Leute
wieder fort gelaſſen? Himmel! feſthalten haͤtten
Sie ſie muͤſſen; die Frau haͤtte uns Weisheit abge-
liefert fuͤr ewige Zeiten, bis zu den letzten Kanzel-
liſten hinab haͤtten alle Salomo's werden muͤſſen,
und Geld, Geld, welches wir alle ſo hoͤchſt noͤthig
brauchen, um unſre Verbeſſerungen in den Gang
zu bringen: eine lebendige, unerſchoͤpfliche Muͤnze
haͤtte ſie uns werden muͤſſen. Und den Zufall, den
verderblichen, der oft die beſten, kluͤgſten Plane
vernichtet, der ſo oft aller Weisheit ſpottet, der
ſchon ſo viel Unheil uͤber die Welt gebracht hat,
ihn haͤtten wir bei Waſſer und Brod dort im tief-
ſten Loch des Thurmes feſtgeſetzt, man haͤtte ihn ſo
nach und nach verkommen und verderben laſſen, daß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0274" n="264"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
            <sp who="#Sekreta&#x0364;r">
              <speaker><hi rendition="#g">Sekreta&#x0364;r</hi>.</speaker>
              <p>Ich bin ganz dumm geworden<lb/>
und irre an mir &#x017F;elb&#x017F;t; und nun alles wieder ins<lb/>
Reine zu &#x017F;chreiben! Und wer es nur le&#x017F;en ko&#x0364;nnte!<lb/>
Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die Akten aus allen Fen&#x017F;tern hinaus<lb/>
ha&#x0364;ngen, daß die Sonne &#x017F;ie wieder trocknen kann.</p><lb/>
              <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Der Pra&#x0364;&#x017F;ident</hi> tritt herein.</hi> </stage>
            </sp><lb/>
            <sp who="#Pra&#x0364;&#x017F;ident">
              <speaker><hi rendition="#g">Pra&#x0364;&#x017F;ident</hi>.</speaker>
              <p>Was giebt es hier fu&#x0364;r Ver-<lb/>
wirrung, meine Herren?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#1Rath">
              <speaker>1. <hi rendition="#g">Rath</hi>.</speaker>
              <p>Wir hatten hier das &#x017F;onderbar&#x017F;te<lb/>
Verho&#x0364;r von der Welt, Herr Pra&#x0364;&#x017F;ident, &#x017F;echs Kla&#x0364;-<lb/>
ger brachten in die&#x017F;en Saal Niemand anders her-<lb/>
ein, als die Go&#x0364;ttinn des Glu&#x0364;cks, die beru&#x0364;hmte For-<lb/>
tuna, ihr folgte ein wilder fataler Kerl als Diener,<lb/>
der Zufall, der hier auch alles durch einander ge-<lb/>
worfen hat, &#x017F;o daß wir viele Mu&#x0364;he werden anwen-<lb/>
den mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, um die alte Ordnung wieder herzu&#x017F;tellen.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#Pra&#x0364;&#x017F;ident">
              <speaker><hi rendition="#g">Pra&#x0364;&#x017F;ident</hi>.</speaker>
              <p>Wie? Und &#x017F;ie haben die Leute<lb/>
wieder fort gela&#x017F;&#x017F;en? Himmel! fe&#x017F;thalten ha&#x0364;tten<lb/>
Sie &#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; die Frau ha&#x0364;tte uns Weisheit abge-<lb/>
liefert fu&#x0364;r ewige Zeiten, bis zu den letzten Kanzel-<lb/>
li&#x017F;ten hinab ha&#x0364;tten alle Salomo's werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und Geld, Geld, welches wir alle &#x017F;o ho&#x0364;ch&#x017F;t no&#x0364;thig<lb/>
brauchen, um un&#x017F;re Verbe&#x017F;&#x017F;erungen in den Gang<lb/>
zu bringen: eine lebendige, uner&#x017F;cho&#x0364;pfliche Mu&#x0364;nze<lb/>
ha&#x0364;tte &#x017F;ie uns werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Und den Zufall, den<lb/>
verderblichen, der oft die be&#x017F;ten, klu&#x0364;g&#x017F;ten Plane<lb/>
vernichtet, der &#x017F;o oft aller Weisheit &#x017F;pottet, der<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;o viel Unheil u&#x0364;ber die Welt gebracht hat,<lb/>
ihn ha&#x0364;tten wir bei Wa&#x017F;&#x017F;er und Brod dort im tief-<lb/>
&#x017F;ten Loch des Thurmes fe&#x017F;tge&#x017F;etzt, man ha&#x0364;tte ihn &#x017F;o<lb/>
nach und nach verkommen und verderben la&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[264/0274] Zweite Abtheilung. Sekretaͤr. Ich bin ganz dumm geworden und irre an mir ſelbſt; und nun alles wieder ins Reine zu ſchreiben! Und wer es nur leſen koͤnnte! Wir muͤſſen die Akten aus allen Fenſtern hinaus haͤngen, daß die Sonne ſie wieder trocknen kann. Der Praͤſident tritt herein. Praͤſident. Was giebt es hier fuͤr Ver- wirrung, meine Herren? 1. Rath. Wir hatten hier das ſonderbarſte Verhoͤr von der Welt, Herr Praͤſident, ſechs Klaͤ- ger brachten in dieſen Saal Niemand anders her- ein, als die Goͤttinn des Gluͤcks, die beruͤhmte For- tuna, ihr folgte ein wilder fataler Kerl als Diener, der Zufall, der hier auch alles durch einander ge- worfen hat, ſo daß wir viele Muͤhe werden anwen- den muͤſſen, um die alte Ordnung wieder herzuſtellen. Praͤſident. Wie? Und ſie haben die Leute wieder fort gelaſſen? Himmel! feſthalten haͤtten Sie ſie muͤſſen; die Frau haͤtte uns Weisheit abge- liefert fuͤr ewige Zeiten, bis zu den letzten Kanzel- liſten hinab haͤtten alle Salomo's werden muͤſſen, und Geld, Geld, welches wir alle ſo hoͤchſt noͤthig brauchen, um unſre Verbeſſerungen in den Gang zu bringen: eine lebendige, unerſchoͤpfliche Muͤnze haͤtte ſie uns werden muͤſſen. Und den Zufall, den verderblichen, der oft die beſten, kluͤgſten Plane vernichtet, der ſo oft aller Weisheit ſpottet, der ſchon ſo viel Unheil uͤber die Welt gebracht hat, ihn haͤtten wir bei Waſſer und Brod dort im tief- ſten Loch des Thurmes feſtgeſetzt, man haͤtte ihn ſo nach und nach verkommen und verderben laſſen, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/274
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/274>, abgerufen am 22.11.2024.