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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

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Zweite Abtheilung.
nicht schlafen können, und war jetzt in einer
Stimmung, daß ihm jede andre Beschäftigung
erträglicher als diese Vorlesung dünkte. Du
weißt es nicht, rief er aus, Du fühlst es nicht,
wie Du mich quälst! Ich bin meiner Laune
nicht Meister, schon die Gesellschaft äng-
stigt mich, jedes gesprochene Wort drückt
mich nieder, und am meisten dadurch, daß au-
ßer Clara und Rosalie noch Niemand weiß,
daß sie hier ist. Alle meine Gefühle sind auf-
geregt und in Verwirrung, ich kann nichts
denken oder sprechen, und Du kannst nun gar
verlangen, daß ich ihnen eine Masse von Thor-
heiten mittheilen soll, die ich vor Jahren in
leichtem Muthe erfand, und die mir heute wi-
derwärtig und vielleicht abgeschmackt erschei-
nen werden.

Mein Freund, sagte Manfred, alle diese
Weigerungen sind umsonst, die Gesellschaft er-
wartet diese Unterhaltung, zu der Du sie be-
rechtigt hast. Entziehst Du Dich ihr jetzt, so
weiß ich nicht, wie ich Dich entschuldigen soll,
alle werden aufmerksam und Dein Geheimniß,
welches Du ja selbst noch schonen willst, steht
auf dem Spiel. Auch ist es etwas höchst Un-
billiges, daß Du Dich nur aus Laune den Ge-
setzen entziehn willst, denen Du Dich unter-
worfen, die Du selbst im frohen Sinne hast
verfassen helfen. Es ist tadelnswürdige Schwä-
che, daß Du Deine Laune nicht mehr beherr-
Zweite Abtheilung.
nicht ſchlafen koͤnnen, und war jetzt in einer
Stimmung, daß ihm jede andre Beſchaͤftigung
ertraͤglicher als dieſe Vorleſung duͤnkte. Du
weißt es nicht, rief er aus, Du fuͤhlſt es nicht,
wie Du mich quaͤlſt! Ich bin meiner Laune
nicht Meiſter, ſchon die Geſellſchaft aͤng-
ſtigt mich, jedes geſprochene Wort druͤckt
mich nieder, und am meiſten dadurch, daß au-
ßer Clara und Roſalie noch Niemand weiß,
daß ſie hier iſt. Alle meine Gefuͤhle ſind auf-
geregt und in Verwirrung, ich kann nichts
denken oder ſprechen, und Du kannſt nun gar
verlangen, daß ich ihnen eine Maſſe von Thor-
heiten mittheilen ſoll, die ich vor Jahren in
leichtem Muthe erfand, und die mir heute wi-
derwaͤrtig und vielleicht abgeſchmackt erſchei-
nen werden.

Mein Freund, ſagte Manfred, alle dieſe
Weigerungen ſind umſonſt, die Geſellſchaft er-
wartet dieſe Unterhaltung, zu der Du ſie be-
rechtigt haſt. Entziehſt Du Dich ihr jetzt, ſo
weiß ich nicht, wie ich Dich entſchuldigen ſoll,
alle werden aufmerkſam und Dein Geheimniß,
welches Du ja ſelbſt noch ſchonen willſt, ſteht
auf dem Spiel. Auch iſt es etwas hoͤchſt Un-
billiges, daß Du Dich nur aus Laune den Ge-
ſetzen entziehn willſt, denen Du Dich unter-
worfen, die Du ſelbſt im frohen Sinne haſt
verfaſſen helfen. Es iſt tadelnswuͤrdige Schwaͤ-
che, daß Du Deine Laune nicht mehr beherr-
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[246/0256] Zweite Abtheilung. nicht ſchlafen koͤnnen, und war jetzt in einer Stimmung, daß ihm jede andre Beſchaͤftigung ertraͤglicher als dieſe Vorleſung duͤnkte. Du weißt es nicht, rief er aus, Du fuͤhlſt es nicht, wie Du mich quaͤlſt! Ich bin meiner Laune nicht Meiſter, ſchon die Geſellſchaft aͤng- ſtigt mich, jedes geſprochene Wort druͤckt mich nieder, und am meiſten dadurch, daß au- ßer Clara und Roſalie noch Niemand weiß, daß ſie hier iſt. Alle meine Gefuͤhle ſind auf- geregt und in Verwirrung, ich kann nichts denken oder ſprechen, und Du kannſt nun gar verlangen, daß ich ihnen eine Maſſe von Thor- heiten mittheilen ſoll, die ich vor Jahren in leichtem Muthe erfand, und die mir heute wi- derwaͤrtig und vielleicht abgeſchmackt erſchei- nen werden. Mein Freund, ſagte Manfred, alle dieſe Weigerungen ſind umſonſt, die Geſellſchaft er- wartet dieſe Unterhaltung, zu der Du ſie be- rechtigt haſt. Entziehſt Du Dich ihr jetzt, ſo weiß ich nicht, wie ich Dich entſchuldigen ſoll, alle werden aufmerkſam und Dein Geheimniß, welches Du ja ſelbſt noch ſchonen willſt, ſteht auf dem Spiel. Auch iſt es etwas hoͤchſt Un- billiges, daß Du Dich nur aus Laune den Ge- ſetzen entziehn willſt, denen Du Dich unter- worfen, die Du ſelbſt im frohen Sinne haſt verfaſſen helfen. Es iſt tadelnswuͤrdige Schwaͤ- che, daß Du Deine Laune nicht mehr beherr-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/256>, abgerufen am 18.05.2024.