Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweite Abtheilung.
Kuß, wie fühl' ich deinen reinen Athem, und in
deiner Umarmung dein treues freundliches Ge-
müth! O Liebe, wie weht dein Geist über die
Berge, durch die Thäler, im Walde und in
meiner Brust! Was will ich umarmen, wem
will ich mich ganz zu eigen geben? Nennen kann
ich es nicht: es hat keinen Namen als Seeligkeit.
Mein Herz ist wie ein Magnet der Wonne und
Sehnsucht, der von drüben aus allen Fernen,
von unten aus Bächen und Quellen, vom Him-
mel herab aus Mond und Gestirnen, ja aus der
unsichtbaren verhüllten Ewigkeit das Entzücken,
die Wehmuth, den süßesten Schmerz und die
reinste Freude herbeizieht. Ja, dies, was ver-
borgen und heimlich mich grüßt, wird einst die
dauernde und lichtfreudige Wonne meiner Seele
seyn: dann erst bist du Süßestes, das hier Adel-
heid heißt, ganz und auf ewig mein, ich dein,
und wir beide versinken spielend in den Wonne-
schauern ewigen Glücks.

Einsam, ja arm erschien ihm sein Leben,
als er sich gewaltsam von diesen Träumen los-
riß, und das Haus genauer betrachtete, in wel-
ches er zurückkehren wollte. Da war es, als
wenn ein Wagen mühsam von jenseit herauf
strebte, er hörte das Schnauben der Pferde,
und bald ward er gewisser, als er nun deutlich
das Rasseln den Abhang hernieder unterscheiden
konnte. Es war ihm fast unlieb, daß seine
Freunde schon zurück kamen, und er nicht in ein-
Zweite Abtheilung.
Kuß, wie fuͤhl' ich deinen reinen Athem, und in
deiner Umarmung dein treues freundliches Ge-
muͤth! O Liebe, wie weht dein Geiſt uͤber die
Berge, durch die Thaͤler, im Walde und in
meiner Bruſt! Was will ich umarmen, wem
will ich mich ganz zu eigen geben? Nennen kann
ich es nicht: es hat keinen Namen als Seeligkeit.
Mein Herz iſt wie ein Magnet der Wonne und
Sehnſucht, der von druͤben aus allen Fernen,
von unten aus Baͤchen und Quellen, vom Him-
mel herab aus Mond und Geſtirnen, ja aus der
unſichtbaren verhuͤllten Ewigkeit das Entzuͤcken,
die Wehmuth, den ſuͤßeſten Schmerz und die
reinſte Freude herbeizieht. Ja, dies, was ver-
borgen und heimlich mich gruͤßt, wird einſt die
dauernde und lichtfreudige Wonne meiner Seele
ſeyn: dann erſt biſt du Suͤßeſtes, das hier Adel-
heid heißt, ganz und auf ewig mein, ich dein,
und wir beide verſinken ſpielend in den Wonne-
ſchauern ewigen Gluͤcks.

Einſam, ja arm erſchien ihm ſein Leben,
als er ſich gewaltſam von dieſen Traͤumen los-
riß, und das Haus genauer betrachtete, in wel-
ches er zuruͤckkehren wollte. Da war es, als
wenn ein Wagen muͤhſam von jenſeit herauf
ſtrebte, er hoͤrte das Schnauben der Pferde,
und bald ward er gewiſſer, als er nun deutlich
das Raſſeln den Abhang hernieder unterſcheiden
konnte. Es war ihm faſt unlieb, daß ſeine
Freunde ſchon zuruͤck kamen, und er nicht in ein-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <sp who="#VAL">
                <p><pb facs="#f0244" n="234"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
Kuß, wie fu&#x0364;hl' ich deinen reinen Athem, und in<lb/>
deiner Umarmung dein treues freundliches Ge-<lb/>
mu&#x0364;th! O Liebe, wie weht dein Gei&#x017F;t u&#x0364;ber die<lb/>
Berge, durch die Tha&#x0364;ler, im Walde und in<lb/>
meiner Bru&#x017F;t! Was will ich umarmen, wem<lb/>
will ich mich ganz zu eigen geben? Nennen kann<lb/>
ich es nicht: es hat keinen Namen als Seeligkeit.<lb/>
Mein Herz i&#x017F;t wie ein Magnet der Wonne und<lb/>
Sehn&#x017F;ucht, der von dru&#x0364;ben aus allen Fernen,<lb/>
von unten aus Ba&#x0364;chen und Quellen, vom Him-<lb/>
mel herab aus Mond und Ge&#x017F;tirnen, ja aus der<lb/>
un&#x017F;ichtbaren verhu&#x0364;llten Ewigkeit das Entzu&#x0364;cken,<lb/>
die Wehmuth, den &#x017F;u&#x0364;ße&#x017F;ten Schmerz und die<lb/>
rein&#x017F;te Freude herbeizieht. Ja, dies, was ver-<lb/>
borgen und heimlich mich gru&#x0364;ßt, wird ein&#x017F;t die<lb/>
dauernde und lichtfreudige Wonne meiner Seele<lb/>
&#x017F;eyn: dann er&#x017F;t bi&#x017F;t du Su&#x0364;ße&#x017F;tes, das hier Adel-<lb/>
heid heißt, ganz und auf ewig mein, ich dein,<lb/>
und wir beide ver&#x017F;inken &#x017F;pielend in den Wonne-<lb/>
&#x017F;chauern ewigen Glu&#x0364;cks.</p><lb/>
                <p>Ein&#x017F;am, ja arm er&#x017F;chien ihm &#x017F;ein Leben,<lb/>
als er &#x017F;ich gewalt&#x017F;am von die&#x017F;en Tra&#x0364;umen los-<lb/>
riß, und das Haus genauer betrachtete, in wel-<lb/>
ches er zuru&#x0364;ckkehren wollte. Da war es, als<lb/>
wenn ein Wagen mu&#x0364;h&#x017F;am von jen&#x017F;eit herauf<lb/>
&#x017F;trebte, er ho&#x0364;rte das Schnauben der Pferde,<lb/>
und bald ward er gewi&#x017F;&#x017F;er, als er nun deutlich<lb/>
das Ra&#x017F;&#x017F;eln den Abhang hernieder unter&#x017F;cheiden<lb/>
konnte. Es war ihm fa&#x017F;t unlieb, daß &#x017F;eine<lb/>
Freunde &#x017F;chon zuru&#x0364;ck kamen, und er nicht in ein-<lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0244] Zweite Abtheilung. Kuß, wie fuͤhl' ich deinen reinen Athem, und in deiner Umarmung dein treues freundliches Ge- muͤth! O Liebe, wie weht dein Geiſt uͤber die Berge, durch die Thaͤler, im Walde und in meiner Bruſt! Was will ich umarmen, wem will ich mich ganz zu eigen geben? Nennen kann ich es nicht: es hat keinen Namen als Seeligkeit. Mein Herz iſt wie ein Magnet der Wonne und Sehnſucht, der von druͤben aus allen Fernen, von unten aus Baͤchen und Quellen, vom Him- mel herab aus Mond und Geſtirnen, ja aus der unſichtbaren verhuͤllten Ewigkeit das Entzuͤcken, die Wehmuth, den ſuͤßeſten Schmerz und die reinſte Freude herbeizieht. Ja, dies, was ver- borgen und heimlich mich gruͤßt, wird einſt die dauernde und lichtfreudige Wonne meiner Seele ſeyn: dann erſt biſt du Suͤßeſtes, das hier Adel- heid heißt, ganz und auf ewig mein, ich dein, und wir beide verſinken ſpielend in den Wonne- ſchauern ewigen Gluͤcks. Einſam, ja arm erſchien ihm ſein Leben, als er ſich gewaltſam von dieſen Traͤumen los- riß, und das Haus genauer betrachtete, in wel- ches er zuruͤckkehren wollte. Da war es, als wenn ein Wagen muͤhſam von jenſeit herauf ſtrebte, er hoͤrte das Schnauben der Pferde, und bald ward er gewiſſer, als er nun deutlich das Raſſeln den Abhang hernieder unterſcheiden konnte. Es war ihm faſt unlieb, daß ſeine Freunde ſchon zuruͤck kamen, und er nicht in ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/244
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/244>, abgerufen am 04.05.2024.