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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Der Blaubart.
Mechtilde. O ja, ganze Zimmer voll; die
hält er immer verschlossen. Ich muß Euch sagen,
meine schöne gnädige Frau, er ist ein gar reicher
Herr, ich glaube, er weiß selber nicht, wie reich
er ist. Ich schwöre, daß Euch alle Damen hier
herum, weit und breit, arm und reich, beneiden
werden.
Agnes. Ich möchte wohl einmal diese Sel-
tenheiten sehen.
Mechtilde. Die Gelegenheit dazu trifft
sich wohl.
Agnes. Ihr seid wohl schon sehr alt?
Mechtilde. Wie so?
Agnes. Ihr geht so gebückt, der Kopf zit-
tert Euch so.
Mechtilde. Ich habe auch schon siebenzig
Jahre auf dem Rücken; das will schon sehr viel
sagen, wenn man das an seinem Körper ableben
soll. -- Ihr werdets nicht glauben wollen, aber
ich war auch einmal hübsch, und die Leute sagten,
ich sey außerordentlich schön. Ach Gott, das ver-
schwindet alles, als wenn es nimmermehr da ge-
wesen wäre, und es kräht kein Hahn darnach.
Die ganzen siebenzig Jahre sind hin, ich weiß nicht
wie. -- Nun, man kann nicht immer jung blei-
ben, es muß auch alte Leute geben: das ist mein
Trost. Es wird Euch auch so gehn.
Agnes. Mir?
Mechtilde. Ja, das will das junge Blut
immer nicht glauben, sie denken gewöhnlich: das
bleibt beständig so wie heute? Ja, heute, und
II. [ 6 ]
Der Blaubart.
Mechtilde. O ja, ganze Zimmer voll; die
haͤlt er immer verſchloſſen. Ich muß Euch ſagen,
meine ſchoͤne gnaͤdige Frau, er iſt ein gar reicher
Herr, ich glaube, er weiß ſelber nicht, wie reich
er iſt. Ich ſchwoͤre, daß Euch alle Damen hier
herum, weit und breit, arm und reich, beneiden
werden.
Agnes. Ich moͤchte wohl einmal dieſe Sel-
tenheiten ſehen.
Mechtilde. Die Gelegenheit dazu trifft
ſich wohl.
Agnes. Ihr ſeid wohl ſchon ſehr alt?
Mechtilde. Wie ſo?
Agnes. Ihr geht ſo gebuͤckt, der Kopf zit-
tert Euch ſo.
Mechtilde. Ich habe auch ſchon ſiebenzig
Jahre auf dem Ruͤcken; das will ſchon ſehr viel
ſagen, wenn man das an ſeinem Koͤrper ableben
ſoll. — Ihr werdets nicht glauben wollen, aber
ich war auch einmal huͤbſch, und die Leute ſagten,
ich ſey außerordentlich ſchoͤn. Ach Gott, das ver-
ſchwindet alles, als wenn es nimmermehr da ge-
weſen waͤre, und es kraͤht kein Hahn darnach.
Die ganzen ſiebenzig Jahre ſind hin, ich weiß nicht
wie. — Nun, man kann nicht immer jung blei-
ben, es muß auch alte Leute geben: das iſt mein
Troſt. Es wird Euch auch ſo gehn.
Agnes. Mir?
Mechtilde. Ja, das will das junge Blut
immer nicht glauben, ſie denken gewoͤhnlich: das
bleibt beſtaͤndig ſo wie heute? Ja, heute, und
II. [ 6 ]
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[81/0090] Der Blaubart. Mechtilde. O ja, ganze Zimmer voll; die haͤlt er immer verſchloſſen. Ich muß Euch ſagen, meine ſchoͤne gnaͤdige Frau, er iſt ein gar reicher Herr, ich glaube, er weiß ſelber nicht, wie reich er iſt. Ich ſchwoͤre, daß Euch alle Damen hier herum, weit und breit, arm und reich, beneiden werden. Agnes. Ich moͤchte wohl einmal dieſe Sel- tenheiten ſehen. Mechtilde. Die Gelegenheit dazu trifft ſich wohl. Agnes. Ihr ſeid wohl ſchon ſehr alt? Mechtilde. Wie ſo? Agnes. Ihr geht ſo gebuͤckt, der Kopf zit- tert Euch ſo. Mechtilde. Ich habe auch ſchon ſiebenzig Jahre auf dem Ruͤcken; das will ſchon ſehr viel ſagen, wenn man das an ſeinem Koͤrper ableben ſoll. — Ihr werdets nicht glauben wollen, aber ich war auch einmal huͤbſch, und die Leute ſagten, ich ſey außerordentlich ſchoͤn. Ach Gott, das ver- ſchwindet alles, als wenn es nimmermehr da ge- weſen waͤre, und es kraͤht kein Hahn darnach. Die ganzen ſiebenzig Jahre ſind hin, ich weiß nicht wie. — Nun, man kann nicht immer jung blei- ben, es muß auch alte Leute geben: das iſt mein Troſt. Es wird Euch auch ſo gehn. Agnes. Mir? Mechtilde. Ja, das will das junge Blut immer nicht glauben, ſie denken gewoͤhnlich: das bleibt beſtaͤndig ſo wie heute? Ja, heute, und II. [ 6 ]

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/90>, abgerufen am 12.05.2024.