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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
sich mit Prophezeien ab, sie thun nichts lieber als
die Zukunft vorher sagen, und doch findet Ihr es
bei mir so sonderbar, daß ich auf diesen Wunsch
verfallen bin. Sie meinen alle, sie haben Recht,
und meine Krankheit besteht bloß in einer zu gro-
ßen Bescheidenheit, daß ich selbst an meine Pro-
phezeiungen nicht glaube, ich darf nur mehr Ver-
trauen haben, und ich bin so gesund wie die übri-
gen Menschen.
(geht ab.)
Hugo. Ein seltsamer Charakter!
Arzt. Er hat sich, möcht ich sagen, in dem
Hang zum Wunderbaren, den jeder Mensch in
sich spürt, übergessen, und dadurch sind ihm diese
Unverdaulichkeiten entstanden.
Hugo. Was könnte aber dagegen helfen?
Arzt. Ein tüchtiges Vomitiv, irgend eine ge-
waltsame Veränderung seiner Lebensart, viel Thä-
tigkeit, Umgang mit vielen vernünftigen Leuten.
Jede Tollheit ist nichts, als ein Rostfleck im Ei-
sen, er muß wieder herunter geschliffen werden.
Allen unverständigen Leuten fehlt es nur an gutem
Willen, um wieder verständig zu werden.
Hugo. Giebt es keine Arzenei, keine zusam-
menziehende Mittel, um diesen schlaff gewordenen
Willen wieder anzuspannen?
Arzt. Bis jetzt ist noch nichts entdeckt, die
Philosophie geht auf Präparate aus, aber es ist
ihr nur auch noch wenig gelungen.
Hugo. Sagt mir einmal, Eure Kunst ist
ein weites Gebiet, -- Ihr wißt gewiß manches
Zweite Abtheilung.
ſich mit Prophezeien ab, ſie thun nichts lieber als
die Zukunft vorher ſagen, und doch findet Ihr es
bei mir ſo ſonderbar, daß ich auf dieſen Wunſch
verfallen bin. Sie meinen alle, ſie haben Recht,
und meine Krankheit beſteht bloß in einer zu gro-
ßen Beſcheidenheit, daß ich ſelbſt an meine Pro-
phezeiungen nicht glaube, ich darf nur mehr Ver-
trauen haben, und ich bin ſo geſund wie die uͤbri-
gen Menſchen.
(geht ab.)
Hugo. Ein ſeltſamer Charakter!
Arzt. Er hat ſich, moͤcht ich ſagen, in dem
Hang zum Wunderbaren, den jeder Menſch in
ſich ſpuͤrt, uͤbergeſſen, und dadurch ſind ihm dieſe
Unverdaulichkeiten entſtanden.
Hugo. Was koͤnnte aber dagegen helfen?
Arzt. Ein tuͤchtiges Vomitiv, irgend eine ge-
waltſame Veraͤnderung ſeiner Lebensart, viel Thaͤ-
tigkeit, Umgang mit vielen vernuͤnftigen Leuten.
Jede Tollheit iſt nichts, als ein Roſtfleck im Ei-
ſen, er muß wieder herunter geſchliffen werden.
Allen unverſtaͤndigen Leuten fehlt es nur an gutem
Willen, um wieder verſtaͤndig zu werden.
Hugo. Giebt es keine Arzenei, keine zuſam-
menziehende Mittel, um dieſen ſchlaff gewordenen
Willen wieder anzuſpannen?
Arzt. Bis jetzt iſt noch nichts entdeckt, die
Philoſophie geht auf Praͤparate aus, aber es iſt
ihr nur auch noch wenig gelungen.
Hugo. Sagt mir einmal, Eure Kunſt iſt
ein weites Gebiet, — Ihr wißt gewiß manches
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[60/0069] Zweite Abtheilung. ſich mit Prophezeien ab, ſie thun nichts lieber als die Zukunft vorher ſagen, und doch findet Ihr es bei mir ſo ſonderbar, daß ich auf dieſen Wunſch verfallen bin. Sie meinen alle, ſie haben Recht, und meine Krankheit beſteht bloß in einer zu gro- ßen Beſcheidenheit, daß ich ſelbſt an meine Pro- phezeiungen nicht glaube, ich darf nur mehr Ver- trauen haben, und ich bin ſo geſund wie die uͤbri- gen Menſchen. (geht ab.) Hugo. Ein ſeltſamer Charakter! Arzt. Er hat ſich, moͤcht ich ſagen, in dem Hang zum Wunderbaren, den jeder Menſch in ſich ſpuͤrt, uͤbergeſſen, und dadurch ſind ihm dieſe Unverdaulichkeiten entſtanden. Hugo. Was koͤnnte aber dagegen helfen? Arzt. Ein tuͤchtiges Vomitiv, irgend eine ge- waltſame Veraͤnderung ſeiner Lebensart, viel Thaͤ- tigkeit, Umgang mit vielen vernuͤnftigen Leuten. Jede Tollheit iſt nichts, als ein Roſtfleck im Ei- ſen, er muß wieder herunter geſchliffen werden. Allen unverſtaͤndigen Leuten fehlt es nur an gutem Willen, um wieder verſtaͤndig zu werden. Hugo. Giebt es keine Arzenei, keine zuſam- menziehende Mittel, um dieſen ſchlaff gewordenen Willen wieder anzuſpannen? Arzt. Bis jetzt iſt noch nichts entdeckt, die Philoſophie geht auf Praͤparate aus, aber es iſt ihr nur auch noch wenig gelungen. Hugo. Sagt mir einmal, Eure Kunſt iſt ein weites Gebiet, — Ihr wißt gewiß manches

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/69>, abgerufen am 25.11.2024.