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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
warteten, der auch nach einiger Zeit behutsam
zu ihnen schlich. Anton, welchem Clara ihr
Mitwissen gestanden hatte, war als derjenige,
dem man am meisten traute, in den geheimen
Rath der Frauen aufgenommen worden, sie wa-
ren jetzt nur zurück geblieben, weil er verspro-
chen hatte, ihnen einige Gedichte mitzutheilen,
die Friedrich ihm, seiner Verschwiegenheit ver-
sichert, gegeben hatte.

Mich dünkt, sagte Anton, es ist süß, sei-
nen Freund auf diese Weise zu verrathen, und
doch wünsche ich, daß er meine Treulosigkeit
niemals erfahren möge. Die Verse, die ich Ih-
nen heute lesen werde, sind einige verzweifelnde
Sonette, die er dichtete, als er sich von seinem
Herzen und seiner Geliebten getäuscht glaubte,
die ängstlich und irre gemacht, sich plötzlich eben
so bestimmt zurück zog, als sie sich ihm genä-
hert hatte. Novalis sagt: das größte Glück ist,
seine Geliebte gut und würdig zu wissen; und
gewiß muß es das größte Elend sein, ihren
Werth bezweifeln, oder sich von ihrem Unwerth
überzeugen zu müssen. So sah unser Freund
in seiner Adelheid, auf einige bittre Tage, nur
eine Herzlose, oder Schwache, die ihn, ohne
sich selbst zu verlieren, zu ihrem Diener hatte
gewinnen wollen, eine Sucht, von der freilich
oft die Besten ihres Geschlechtes nicht ganz frei
sind, und die als wahrhaft böse erscheinen kann,
Zweite Abtheilung.
warteten, der auch nach einiger Zeit behutſam
zu ihnen ſchlich. Anton, welchem Clara ihr
Mitwiſſen geſtanden hatte, war als derjenige,
dem man am meiſten traute, in den geheimen
Rath der Frauen aufgenommen worden, ſie wa-
ren jetzt nur zuruͤck geblieben, weil er verſpro-
chen hatte, ihnen einige Gedichte mitzutheilen,
die Friedrich ihm, ſeiner Verſchwiegenheit ver-
ſichert, gegeben hatte.

Mich duͤnkt, ſagte Anton, es iſt ſuͤß, ſei-
nen Freund auf dieſe Weiſe zu verrathen, und
doch wuͤnſche ich, daß er meine Treuloſigkeit
niemals erfahren moͤge. Die Verſe, die ich Ih-
nen heute leſen werde, ſind einige verzweifelnde
Sonette, die er dichtete, als er ſich von ſeinem
Herzen und ſeiner Geliebten getaͤuſcht glaubte,
die aͤngſtlich und irre gemacht, ſich ploͤtzlich eben
ſo beſtimmt zuruͤck zog, als ſie ſich ihm genaͤ-
hert hatte. Novalis ſagt: das groͤßte Gluͤck iſt,
ſeine Geliebte gut und wuͤrdig zu wiſſen; und
gewiß muß es das groͤßte Elend ſein, ihren
Werth bezweifeln, oder ſich von ihrem Unwerth
uͤberzeugen zu muͤſſen. So ſah unſer Freund
in ſeiner Adelheid, auf einige bittre Tage, nur
eine Herzloſe, oder Schwache, die ihn, ohne
ſich ſelbſt zu verlieren, zu ihrem Diener hatte
gewinnen wollen, eine Sucht, von der freilich
oft die Beſten ihres Geſchlechtes nicht ganz frei
ſind, und die als wahrhaft boͤſe erſcheinen kann,
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[553/0562] Zweite Abtheilung. warteten, der auch nach einiger Zeit behutſam zu ihnen ſchlich. Anton, welchem Clara ihr Mitwiſſen geſtanden hatte, war als derjenige, dem man am meiſten traute, in den geheimen Rath der Frauen aufgenommen worden, ſie wa- ren jetzt nur zuruͤck geblieben, weil er verſpro- chen hatte, ihnen einige Gedichte mitzutheilen, die Friedrich ihm, ſeiner Verſchwiegenheit ver- ſichert, gegeben hatte. Mich duͤnkt, ſagte Anton, es iſt ſuͤß, ſei- nen Freund auf dieſe Weiſe zu verrathen, und doch wuͤnſche ich, daß er meine Treuloſigkeit niemals erfahren moͤge. Die Verſe, die ich Ih- nen heute leſen werde, ſind einige verzweifelnde Sonette, die er dichtete, als er ſich von ſeinem Herzen und ſeiner Geliebten getaͤuſcht glaubte, die aͤngſtlich und irre gemacht, ſich ploͤtzlich eben ſo beſtimmt zuruͤck zog, als ſie ſich ihm genaͤ- hert hatte. Novalis ſagt: das groͤßte Gluͤck iſt, ſeine Geliebte gut und wuͤrdig zu wiſſen; und gewiß muß es das groͤßte Elend ſein, ihren Werth bezweifeln, oder ſich von ihrem Unwerth uͤberzeugen zu muͤſſen. So ſah unſer Freund in ſeiner Adelheid, auf einige bittre Tage, nur eine Herzloſe, oder Schwache, die ihn, ohne ſich ſelbſt zu verlieren, zu ihrem Diener hatte gewinnen wollen, eine Sucht, von der freilich oft die Beſten ihres Geſchlechtes nicht ganz frei ſind, und die als wahrhaft boͤſe erſcheinen kann,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/562>, abgerufen am 25.11.2024.