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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
du ein verzogenes Mutterkind bist, zeigst du in
jeder Stunde. Was fehlt dir nur?

Wenn Ihr euch auch alle nicht, erwiederte
sie, zu meiner Verwunderung die Unanständigkei-
ten zu Herzen nehmt, die der Herr Poet für
gut gefunden hat, uns vorzutragen, so will ich
ihm wenigstens zeigen, daß ich sie übel empfinde.

Jetzt, sagte Manfred, muß ich dich unge-
zogen nennen, ja unwahrhaft. Nichts ist am
Menschen so widerwärtig, als wenn er sich zum
Eigensinn, zur Unliebenswürdigkeit zwingt, und
das ist heut den ganzen Abend mit dir der Fall
gewesen. Hab ich doch recht gut bemerkt, daß
du geflissentlich gegen dein Lachen kämpftest,
um deine saure Miene nur oben zu erhalten;
dies möchte als albern hingehn, aber daß du
eine Lust daran findest, einen Freund zu krän-
ken, ist fast bösartig.

Auguste hörte nicht weiter zu, sondern ent-
fernte sich schnell, indem sie die Thür ziemlich
heftig zuwarf. Alle waren etwas verstimmt, und
Ernst tadelte im Stillen diese unpassende Zu-
rechtweisung der Freundinn, Manfred sprach
über das Unglück einer bösen Laune, die man
sich zu seinem und andrer Unheil so zu eigen
machen könne, daß man sich ordentlich schäme,
sie, dem bessern Gewissen zum Trotz, zu brechen.
Wilibald entschuldigte sich und sagte: ich gebe
zu, daß in unsrer heutigen Unterhaltung man-
ches grell und auffallend sein mag, allein, wie
Zweite Abtheilung.
du ein verzogenes Mutterkind biſt, zeigſt du in
jeder Stunde. Was fehlt dir nur?

Wenn Ihr euch auch alle nicht, erwiederte
ſie, zu meiner Verwunderung die Unanſtaͤndigkei-
ten zu Herzen nehmt, die der Herr Poet fuͤr
gut gefunden hat, uns vorzutragen, ſo will ich
ihm wenigſtens zeigen, daß ich ſie uͤbel empfinde.

Jetzt, ſagte Manfred, muß ich dich unge-
zogen nennen, ja unwahrhaft. Nichts iſt am
Menſchen ſo widerwaͤrtig, als wenn er ſich zum
Eigenſinn, zur Unliebenswuͤrdigkeit zwingt, und
das iſt heut den ganzen Abend mit dir der Fall
geweſen. Hab ich doch recht gut bemerkt, daß
du gefliſſentlich gegen dein Lachen kaͤmpfteſt,
um deine ſaure Miene nur oben zu erhalten;
dies moͤchte als albern hingehn, aber daß du
eine Luſt daran findeſt, einen Freund zu kraͤn-
ken, iſt faſt boͤsartig.

Auguſte hoͤrte nicht weiter zu, ſondern ent-
fernte ſich ſchnell, indem ſie die Thuͤr ziemlich
heftig zuwarf. Alle waren etwas verſtimmt, und
Ernſt tadelte im Stillen dieſe unpaſſende Zu-
rechtweiſung der Freundinn, Manfred ſprach
uͤber das Ungluͤck einer boͤſen Laune, die man
ſich zu ſeinem und andrer Unheil ſo zu eigen
machen koͤnne, daß man ſich ordentlich ſchaͤme,
ſie, dem beſſern Gewiſſen zum Trotz, zu brechen.
Wilibald entſchuldigte ſich und ſagte: ich gebe
zu, daß in unſrer heutigen Unterhaltung man-
ches grell und auffallend ſein mag, allein, wie
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[550/0559] Zweite Abtheilung. du ein verzogenes Mutterkind biſt, zeigſt du in jeder Stunde. Was fehlt dir nur? Wenn Ihr euch auch alle nicht, erwiederte ſie, zu meiner Verwunderung die Unanſtaͤndigkei- ten zu Herzen nehmt, die der Herr Poet fuͤr gut gefunden hat, uns vorzutragen, ſo will ich ihm wenigſtens zeigen, daß ich ſie uͤbel empfinde. Jetzt, ſagte Manfred, muß ich dich unge- zogen nennen, ja unwahrhaft. Nichts iſt am Menſchen ſo widerwaͤrtig, als wenn er ſich zum Eigenſinn, zur Unliebenswuͤrdigkeit zwingt, und das iſt heut den ganzen Abend mit dir der Fall geweſen. Hab ich doch recht gut bemerkt, daß du gefliſſentlich gegen dein Lachen kaͤmpfteſt, um deine ſaure Miene nur oben zu erhalten; dies moͤchte als albern hingehn, aber daß du eine Luſt daran findeſt, einen Freund zu kraͤn- ken, iſt faſt boͤsartig. Auguſte hoͤrte nicht weiter zu, ſondern ent- fernte ſich ſchnell, indem ſie die Thuͤr ziemlich heftig zuwarf. Alle waren etwas verſtimmt, und Ernſt tadelte im Stillen dieſe unpaſſende Zu- rechtweiſung der Freundinn, Manfred ſprach uͤber das Ungluͤck einer boͤſen Laune, die man ſich zu ſeinem und andrer Unheil ſo zu eigen machen koͤnne, daß man ſich ordentlich ſchaͤme, ſie, dem beſſern Gewiſſen zum Trotz, zu brechen. Wilibald entſchuldigte ſich und ſagte: ich gebe zu, daß in unſrer heutigen Unterhaltung man- ches grell und auffallend ſein mag, allein, wie

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/559>, abgerufen am 10.05.2024.