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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Däumchen.
nicht übel. Du, Dicker, komm her. Rothes
Haar? Die Wenigsten essen solche gern, ich sage
aber: Vorurtheil! Der Kleine ist fast zu dünn
und schmächtig; je nun, man verzehrt eins mit
dem andern. Die übrigen sind recht gut und ziemlich
feist. -- Semmelziege, gieb mir mein großes Mes-
ser her, ich will sie gleich abschlachten und zu mir
nehmen. Ich wollte, daß sich oft so zarte Braten
zu uns verirrten.
Malwina. Lieber Mann, sei barmherzig,
laß die Kinder gehn. Sieh, wie sie vor dir zit-
tern; laß dich von ihren Thränen erweichen. Wie
ist es nur möglich, an so gräßlichen Mahlzeiten
Wohlgefallen zu finden?
Semmelziege. Gnädiger Herr, alle Natio-
nen haben dergleichen immer verabscheut, denn es
ist zu unnatürlich.
Leidgast. Schauts, wie Ihr nun sprecht,
ohne alle Kenntniß, ohne was von der Sache zu
verstehn. -- Nun hab ich mein Messer gewetzt, es
wird wohl scharf genug seyn. Unnatürlich? dum-
mes Gewäsch! Alle Nationen? das glaub ich,
wenn alle Nationen sich darauf verständen und
den Appetit hätten, so würde bald keine Spur
mehr von irgend einer Nation übrig bleiben. Ein-
faltspinsel! sieh, es ist wie mit dem Kaviar und
den Austern, welche auch die geringen unwissen-
den Leute nicht mögen; eben so, versteht, wenn
man nun das erste mal in seines Gleichen einbei-
ßen soll, denkt man freilich auch: soll ich? soll
ich nicht? Aber, ich versichre Euch, dieses Zandern,
Daͤumchen.
nicht uͤbel. Du, Dicker, komm her. Rothes
Haar? Die Wenigſten eſſen ſolche gern, ich ſage
aber: Vorurtheil! Der Kleine iſt faſt zu duͤnn
und ſchmaͤchtig; je nun, man verzehrt eins mit
dem andern. Die uͤbrigen ſind recht gut und ziemlich
feiſt. — Semmelziege, gieb mir mein großes Meſ-
ſer her, ich will ſie gleich abſchlachten und zu mir
nehmen. Ich wollte, daß ſich oft ſo zarte Braten
zu uns verirrten.
Malwina. Lieber Mann, ſei barmherzig,
laß die Kinder gehn. Sieh, wie ſie vor dir zit-
tern; laß dich von ihren Thraͤnen erweichen. Wie
iſt es nur moͤglich, an ſo graͤßlichen Mahlzeiten
Wohlgefallen zu finden?
Semmelziege. Gnaͤdiger Herr, alle Natio-
nen haben dergleichen immer verabſcheut, denn es
iſt zu unnatuͤrlich.
Leidgaſt. Schauts, wie Ihr nun ſprecht,
ohne alle Kenntniß, ohne was von der Sache zu
verſtehn. — Nun hab ich mein Meſſer gewetzt, es
wird wohl ſcharf genug ſeyn. Unnatuͤrlich? dum-
mes Gewaͤſch! Alle Nationen? das glaub ich,
wenn alle Nationen ſich darauf verſtaͤnden und
den Appetit haͤtten, ſo wuͤrde bald keine Spur
mehr von irgend einer Nation uͤbrig bleiben. Ein-
faltspinſel! ſieh, es iſt wie mit dem Kaviar und
den Auſtern, welche auch die geringen unwiſſen-
den Leute nicht moͤgen; eben ſo, verſteht, wenn
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[505/0514] Daͤumchen. nicht uͤbel. Du, Dicker, komm her. Rothes Haar? Die Wenigſten eſſen ſolche gern, ich ſage aber: Vorurtheil! Der Kleine iſt faſt zu duͤnn und ſchmaͤchtig; je nun, man verzehrt eins mit dem andern. Die uͤbrigen ſind recht gut und ziemlich feiſt. — Semmelziege, gieb mir mein großes Meſ- ſer her, ich will ſie gleich abſchlachten und zu mir nehmen. Ich wollte, daß ſich oft ſo zarte Braten zu uns verirrten. Malwina. Lieber Mann, ſei barmherzig, laß die Kinder gehn. Sieh, wie ſie vor dir zit- tern; laß dich von ihren Thraͤnen erweichen. Wie iſt es nur moͤglich, an ſo graͤßlichen Mahlzeiten Wohlgefallen zu finden? Semmelziege. Gnaͤdiger Herr, alle Natio- nen haben dergleichen immer verabſcheut, denn es iſt zu unnatuͤrlich. Leidgaſt. Schauts, wie Ihr nun ſprecht, ohne alle Kenntniß, ohne was von der Sache zu verſtehn. — Nun hab ich mein Meſſer gewetzt, es wird wohl ſcharf genug ſeyn. Unnatuͤrlich? dum- mes Gewaͤſch! Alle Nationen? das glaub ich, wenn alle Nationen ſich darauf verſtaͤnden und den Appetit haͤtten, ſo wuͤrde bald keine Spur mehr von irgend einer Nation uͤbrig bleiben. Ein- faltspinſel! ſieh, es iſt wie mit dem Kaviar und den Auſtern, welche auch die geringen unwiſſen- den Leute nicht moͤgen; eben ſo, verſteht, wenn man nun das erſte mal in ſeines Gleichen einbei- ßen ſoll, denkt man freilich auch: ſoll ich? ſoll ich nicht? Aber, ich verſichre Euch, dieſes Zandern,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/514>, abgerufen am 20.05.2024.