Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Der Blaubart. Es verwehten die Winde Den treulosen Schwur, Wie Blitze geschwinde Verschüttet vom Glück sich die goldene Spur; O dunkles Menschenleben, Muß jeder Traum einst niederschweben? Rosen und Nelken Bekränzen das Haupt, Und ach! sie verwelken, Der Baum steht entlaubt; Der Frühling er scheidet Macht Winter zum Herrn, Die Liebe vermeidet Und fliehet so fern. -- Verworrenes Leben, Was ist dir gegeben? -- Erinnern und Hoffen Zur Qual und zur Luft -- Ach! ihnen bleibt offen Die zitternde Brust. Anne. Besser, als ich gedacht hätte. Agnes. Aber sage mir einmal, warum in allen diesen Liedern immer so viel von Liebe die Rede ist? Wissen diese Liedermacher denn keinen andern Gegenstand? Anne. Sie glauben, daß jedermann daran Theil nimmt. Agnes. Ich wahrlich nicht. Mir ist nichts widerwärtiger, als diese ewigen Klagen. Ich wünschte, es gäbe so Gesänge für alle mögliche Der Blaubart. Es verwehten die Winde Den treuloſen Schwur, Wie Blitze geſchwinde Verſchuͤttet vom Gluͤck ſich die goldene Spur; O dunkles Menſchenleben, Muß jeder Traum einſt niederſchweben? Roſen und Nelken Bekraͤnzen das Haupt, Und ach! ſie verwelken, Der Baum ſteht entlaubt; Der Fruͤhling er ſcheidet Macht Winter zum Herrn, Die Liebe vermeidet Und fliehet ſo fern. — Verworrenes Leben, Was iſt dir gegeben? — Erinnern und Hoffen Zur Qual und zur Luft — Ach! ihnen bleibt offen Die zitternde Bruſt. Anne. Beſſer, als ich gedacht haͤtte. Agnes. Aber ſage mir einmal, warum in allen dieſen Liedern immer ſo viel von Liebe die Rede iſt? Wiſſen dieſe Liedermacher denn keinen andern Gegenſtand? Anne. Sie glauben, daß jedermann daran Theil nimmt. Agnes. Ich wahrlich nicht. Mir iſt nichts widerwaͤrtiger, als dieſe ewigen Klagen. Ich wuͤnſchte, es gaͤbe ſo Geſaͤnge fuͤr alle moͤgliche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#AGN"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0046" n="37"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Blaubart</hi>.</fw><lb/> <lg n="2"> <l>Es verwehten die Winde</l><lb/> <l>Den treuloſen Schwur,</l><lb/> <l>Wie Blitze geſchwinde</l><lb/> <l>Verſchuͤttet vom Gluͤck ſich die goldene Spur;</l><lb/> <l>O dunkles Menſchenleben,</l><lb/> <l>Muß jeder Traum einſt niederſchweben?</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Roſen und Nelken</l><lb/> <l>Bekraͤnzen das Haupt,</l><lb/> <l>Und ach! ſie verwelken,</l><lb/> <l>Der Baum ſteht entlaubt;</l><lb/> <l>Der Fruͤhling er ſcheidet</l><lb/> <l>Macht Winter zum Herrn,</l><lb/> <l>Die Liebe vermeidet</l><lb/> <l>Und fliehet ſo fern. —</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Verworrenes Leben,</l><lb/> <l>Was iſt dir gegeben? —</l><lb/> <l>Erinnern und Hoffen</l><lb/> <l>Zur Qual und zur Luft —</l><lb/> <l>Ach! ihnen bleibt offen</l><lb/> <l>Die zitternde Bruſt.</l> </lg> </lg> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Beſſer, als ich gedacht haͤtte.</p> </sp><lb/> <sp who="#AGN"> <speaker><hi rendition="#g">Agnes</hi>.</speaker> <p>Aber ſage mir einmal, warum in<lb/> allen dieſen Liedern immer ſo viel von Liebe die<lb/> Rede iſt? Wiſſen dieſe Liedermacher denn keinen<lb/> andern Gegenſtand?</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Sie glauben, daß jedermann daran<lb/> Theil nimmt.</p> </sp><lb/> <sp who="#AGN"> <speaker><hi rendition="#g">Agnes</hi>.</speaker> <p>Ich wahrlich nicht. Mir iſt nichts<lb/> widerwaͤrtiger, als dieſe ewigen Klagen. Ich<lb/> wuͤnſchte, es gaͤbe ſo Geſaͤnge fuͤr alle moͤgliche<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0046]
Der Blaubart.
Es verwehten die Winde
Den treuloſen Schwur,
Wie Blitze geſchwinde
Verſchuͤttet vom Gluͤck ſich die goldene Spur;
O dunkles Menſchenleben,
Muß jeder Traum einſt niederſchweben?
Roſen und Nelken
Bekraͤnzen das Haupt,
Und ach! ſie verwelken,
Der Baum ſteht entlaubt;
Der Fruͤhling er ſcheidet
Macht Winter zum Herrn,
Die Liebe vermeidet
Und fliehet ſo fern. —
Verworrenes Leben,
Was iſt dir gegeben? —
Erinnern und Hoffen
Zur Qual und zur Luft —
Ach! ihnen bleibt offen
Die zitternde Bruſt.
Anne. Beſſer, als ich gedacht haͤtte.
Agnes. Aber ſage mir einmal, warum in
allen dieſen Liedern immer ſo viel von Liebe die
Rede iſt? Wiſſen dieſe Liedermacher denn keinen
andern Gegenſtand?
Anne. Sie glauben, daß jedermann daran
Theil nimmt.
Agnes. Ich wahrlich nicht. Mir iſt nichts
widerwaͤrtiger, als dieſe ewigen Klagen. Ich
wuͤnſchte, es gaͤbe ſo Geſaͤnge fuͤr alle moͤgliche
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