Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. daß der große Eindruck, den das Stabat materdes jungen Künstlers beim ersten Aufführen machte, einen andern Musiker mit so grimmi- gem Neid entzündet, daß er den Jüngling, in- dem dieser aus der Kirche getreten, niedergestochen habe. Man hat diese Sage längst widerlegt, da aber Pergolese früh starb, so wird es dem Dichter erlaubt seyn, auf diese Erzählung hin- zudeuten, und ihn als Opfer seiner Kunst und Begeisterung fallen zu lassen. Dies sagen die ersten zwei Sonette, dann folgt der Versuch, das Stabat mater selbst in einem Gedichte zu wiederholen, wie ich weiß ein gewagter und viel- leicht überflüßiger Versuch; den Beschluß macht ein Sonett, welches die Musik selber spricht, wodurch sich diese Gedichte jenen vielleicht an- schließen, die unser Freund uns neulich mitge- theilt hat. Pergolese. Ein Jüngling wandelt durch die Waldesgrüne, Einsam, verlassen, seufzend und in Thränen; Was will sein Händeringen doch ersehnen? Was sagt die trübe, liebe Leidensmine? Bald ists, als ob ein Engel ihm erschiene, So schaut er in das Grün mit hohem Sehnen, Er spricht mit Vögeln, mit der Luft im Wähnen, In Zweigen neigen Arme sich zur Sühne. Zweite Abtheilung. daß der große Eindruck, den das Stabat materdes jungen Kuͤnſtlers beim erſten Auffuͤhren machte, einen andern Muſiker mit ſo grimmi- gem Neid entzuͤndet, daß er den Juͤngling, in- dem dieſer aus der Kirche getreten, niedergeſtochen habe. Man hat dieſe Sage laͤngſt widerlegt, da aber Pergoleſe fruͤh ſtarb, ſo wird es dem Dichter erlaubt ſeyn, auf dieſe Erzaͤhlung hin- zudeuten, und ihn als Opfer ſeiner Kunſt und Begeiſterung fallen zu laſſen. Dies ſagen die erſten zwei Sonette, dann folgt der Verſuch, das Stabat mater ſelbſt in einem Gedichte zu wiederholen, wie ich weiß ein gewagter und viel- leicht uͤberfluͤßiger Verſuch; den Beſchluß macht ein Sonett, welches die Muſik ſelber ſpricht, wodurch ſich dieſe Gedichte jenen vielleicht an- ſchließen, die unſer Freund uns neulich mitge- theilt hat. Pergoleſe. Ein Juͤngling wandelt durch die Waldesgruͤne, Einſam, verlaſſen, ſeufzend und in Thraͤnen; Was will ſein Haͤnderingen doch erſehnen? Was ſagt die truͤbe, liebe Leidensmine? Bald iſts, als ob ein Engel ihm erſchiene, So ſchaut er in das Gruͤn mit hohem Sehnen, Er ſpricht mit Voͤgeln, mit der Luft im Waͤhnen, In Zweigen neigen Arme ſich zur Suͤhne. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0450" n="441"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> daß der große Eindruck, den das <hi rendition="#aq">Stabat mater</hi><lb/> des jungen Kuͤnſtlers beim erſten Auffuͤhren<lb/> machte, einen andern Muſiker mit ſo grimmi-<lb/> gem Neid entzuͤndet, daß er den Juͤngling, in-<lb/> dem dieſer aus der Kirche getreten, niedergeſtochen<lb/> habe. Man hat dieſe Sage laͤngſt widerlegt,<lb/> da aber Pergoleſe fruͤh ſtarb, ſo wird es dem<lb/> Dichter erlaubt ſeyn, auf dieſe Erzaͤhlung hin-<lb/> zudeuten, und ihn als Opfer ſeiner Kunſt und<lb/> Begeiſterung fallen zu laſſen. Dies ſagen die<lb/> erſten zwei Sonette, dann folgt der Verſuch,<lb/> das <hi rendition="#aq">Stabat mater</hi> ſelbſt in einem Gedichte zu<lb/> wiederholen, wie ich weiß ein gewagter und viel-<lb/> leicht uͤberfluͤßiger Verſuch; den Beſchluß macht<lb/> ein Sonett, welches die Muſik ſelber ſpricht,<lb/> wodurch ſich dieſe Gedichte jenen vielleicht an-<lb/> ſchließen, die unſer Freund uns neulich mitge-<lb/> theilt hat.</p><lb/> <lg type="poem"> <head><hi rendition="#g">Pergoleſe</hi>.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Ein Juͤngling wandelt durch die Waldesgruͤne,</l><lb/> <l>Einſam, verlaſſen, ſeufzend und in Thraͤnen;</l><lb/> <l>Was will ſein Haͤnderingen doch erſehnen?</l><lb/> <l>Was ſagt die truͤbe, liebe Leidensmine?</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Bald iſts, als ob ein Engel ihm erſchiene,</l><lb/> <l>So ſchaut er in das Gruͤn mit hohem Sehnen,</l><lb/> <l>Er ſpricht mit Voͤgeln, mit der Luft im Waͤhnen,</l><lb/> <l>In Zweigen neigen Arme ſich zur Suͤhne.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [441/0450]
Zweite Abtheilung.
daß der große Eindruck, den das Stabat mater
des jungen Kuͤnſtlers beim erſten Auffuͤhren
machte, einen andern Muſiker mit ſo grimmi-
gem Neid entzuͤndet, daß er den Juͤngling, in-
dem dieſer aus der Kirche getreten, niedergeſtochen
habe. Man hat dieſe Sage laͤngſt widerlegt,
da aber Pergoleſe fruͤh ſtarb, ſo wird es dem
Dichter erlaubt ſeyn, auf dieſe Erzaͤhlung hin-
zudeuten, und ihn als Opfer ſeiner Kunſt und
Begeiſterung fallen zu laſſen. Dies ſagen die
erſten zwei Sonette, dann folgt der Verſuch,
das Stabat mater ſelbſt in einem Gedichte zu
wiederholen, wie ich weiß ein gewagter und viel-
leicht uͤberfluͤßiger Verſuch; den Beſchluß macht
ein Sonett, welches die Muſik ſelber ſpricht,
wodurch ſich dieſe Gedichte jenen vielleicht an-
ſchließen, die unſer Freund uns neulich mitge-
theilt hat.
Pergoleſe.
Ein Juͤngling wandelt durch die Waldesgruͤne,
Einſam, verlaſſen, ſeufzend und in Thraͤnen;
Was will ſein Haͤnderingen doch erſehnen?
Was ſagt die truͤbe, liebe Leidensmine?
Bald iſts, als ob ein Engel ihm erſchiene,
So ſchaut er in das Gruͤn mit hohem Sehnen,
Er ſpricht mit Voͤgeln, mit der Luft im Waͤhnen,
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