Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweite Abtheilung.
ich im Augenblick, an Ort und Stelle nicht flei-
ßig genug war, oder mir einbildete, die äußere
Thätigkeit könne meine innere unterbrechen und
ermatten.

Man erinnerte sich der Musik und des Ge-
sanges, welche man seit heut und gestern beson-
ders fleißig geübt hatte. Anton sagte: ich bin
durch Rosaliens und Claras Gesang so entzückt
worden, daß ich sagen möchte, diese Tage ma-
chen eine Epoche in meinem Leben, und wenn
es einen Componisten giebt, den ich so ganz
verstehe, so ganz von ihm durchdrungen bin, so
ist es das himmlisch liebliche Gemüth des ju-
gendlichen Pergolese. Daß man ihn neulich mit
Correggio zusammenstellen wollte, ist gewiß keine
willkührliche Vergleichung, denn bei den Bildern
dieses großen Meisters habe ich etwas Aehnli-
ches empfunden, und wie dieser mit Licht und
Schatten spielt, ja beides zum mystischen Sym-
bol erhebt, und dadurch in höherem als dem
gewöhnlichen Sinne seine Gemählde beleuchtet,
eben so sinnig nimmt Pergolese die hohen und
tiefen Töne als Licht und Schatten. In seiner
Messe erinnert das herrliche Gloria unmittelbar
an die schwebenden und durch einander gaukeln-
den Engel in Correggios Nacht, und das Pax
hominibus
legt sich wie ein dunkler tröstender
Schatten über die Erde hin. Unvergleichlich singt
Clara sein Salve Regina, und welcher Genuß,
von ihr und Rosalien sein berühmtes Stabat

Zweite Abtheilung.
ich im Augenblick, an Ort und Stelle nicht flei-
ßig genug war, oder mir einbildete, die aͤußere
Thaͤtigkeit koͤnne meine innere unterbrechen und
ermatten.

Man erinnerte ſich der Muſik und des Ge-
ſanges, welche man ſeit heut und geſtern beſon-
ders fleißig geuͤbt hatte. Anton ſagte: ich bin
durch Roſaliens und Claras Geſang ſo entzuͤckt
worden, daß ich ſagen moͤchte, dieſe Tage ma-
chen eine Epoche in meinem Leben, und wenn
es einen Componiſten giebt, den ich ſo ganz
verſtehe, ſo ganz von ihm durchdrungen bin, ſo
iſt es das himmliſch liebliche Gemuͤth des ju-
gendlichen Pergoleſe. Daß man ihn neulich mit
Correggio zuſammenſtellen wollte, iſt gewiß keine
willkuͤhrliche Vergleichung, denn bei den Bildern
dieſes großen Meiſters habe ich etwas Aehnli-
ches empfunden, und wie dieſer mit Licht und
Schatten ſpielt, ja beides zum myſtiſchen Sym-
bol erhebt, und dadurch in hoͤherem als dem
gewoͤhnlichen Sinne ſeine Gemaͤhlde beleuchtet,
eben ſo ſinnig nimmt Pergoleſe die hohen und
tiefen Toͤne als Licht und Schatten. In ſeiner
Meſſe erinnert das herrliche Gloria unmittelbar
an die ſchwebenden und durch einander gaukeln-
den Engel in Correggios Nacht, und das Pax
hominibus
legt ſich wie ein dunkler troͤſtender
Schatten uͤber die Erde hin. Unvergleichlich ſingt
Clara ſein Salve Regina, und welcher Genuß,
von ihr und Roſalien ſein beruͤhmtes Stabat

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0447" n="438"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
ich im Augenblick, an Ort und Stelle nicht flei-<lb/>
ßig genug war, oder mir einbildete, die a&#x0364;ußere<lb/>
Tha&#x0364;tigkeit ko&#x0364;nne meine innere unterbrechen und<lb/>
ermatten.</p><lb/>
            <p>Man erinnerte &#x017F;ich der Mu&#x017F;ik und des Ge-<lb/>
&#x017F;anges, welche man &#x017F;eit heut und ge&#x017F;tern be&#x017F;on-<lb/>
ders fleißig geu&#x0364;bt hatte. Anton &#x017F;agte: ich bin<lb/>
durch Ro&#x017F;aliens und Claras Ge&#x017F;ang &#x017F;o entzu&#x0364;ckt<lb/>
worden, daß ich &#x017F;agen mo&#x0364;chte, die&#x017F;e Tage ma-<lb/>
chen eine Epoche in meinem Leben, und wenn<lb/>
es einen Componi&#x017F;ten giebt, den ich &#x017F;o ganz<lb/>
ver&#x017F;tehe, &#x017F;o ganz von ihm durchdrungen bin, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t es das himmli&#x017F;ch liebliche Gemu&#x0364;th des ju-<lb/>
gendlichen Pergole&#x017F;e. Daß man ihn neulich mit<lb/>
Correggio zu&#x017F;ammen&#x017F;tellen wollte, i&#x017F;t gewiß keine<lb/>
willku&#x0364;hrliche Vergleichung, denn bei den Bildern<lb/>
die&#x017F;es großen Mei&#x017F;ters habe ich etwas Aehnli-<lb/>
ches empfunden, und wie die&#x017F;er mit Licht und<lb/>
Schatten &#x017F;pielt, ja beides zum my&#x017F;ti&#x017F;chen Sym-<lb/>
bol erhebt, und dadurch in ho&#x0364;herem als dem<lb/>
gewo&#x0364;hnlichen Sinne &#x017F;eine Gema&#x0364;hlde beleuchtet,<lb/>
eben &#x017F;o &#x017F;innig nimmt Pergole&#x017F;e die hohen und<lb/>
tiefen To&#x0364;ne als Licht und Schatten. In &#x017F;einer<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;e erinnert das herrliche Gloria unmittelbar<lb/>
an die &#x017F;chwebenden und durch einander gaukeln-<lb/>
den Engel in Correggios Nacht, und das <hi rendition="#aq">Pax<lb/>
hominibus</hi> legt &#x017F;ich wie ein dunkler tro&#x0364;&#x017F;tender<lb/>
Schatten u&#x0364;ber die Erde hin. Unvergleichlich &#x017F;ingt<lb/>
Clara &#x017F;ein <hi rendition="#aq">Salve Regina</hi>, und welcher Genuß,<lb/>
von ihr und Ro&#x017F;alien &#x017F;ein beru&#x0364;hmtes <hi rendition="#aq">Stabat<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[438/0447] Zweite Abtheilung. ich im Augenblick, an Ort und Stelle nicht flei- ßig genug war, oder mir einbildete, die aͤußere Thaͤtigkeit koͤnne meine innere unterbrechen und ermatten. Man erinnerte ſich der Muſik und des Ge- ſanges, welche man ſeit heut und geſtern beſon- ders fleißig geuͤbt hatte. Anton ſagte: ich bin durch Roſaliens und Claras Geſang ſo entzuͤckt worden, daß ich ſagen moͤchte, dieſe Tage ma- chen eine Epoche in meinem Leben, und wenn es einen Componiſten giebt, den ich ſo ganz verſtehe, ſo ganz von ihm durchdrungen bin, ſo iſt es das himmliſch liebliche Gemuͤth des ju- gendlichen Pergoleſe. Daß man ihn neulich mit Correggio zuſammenſtellen wollte, iſt gewiß keine willkuͤhrliche Vergleichung, denn bei den Bildern dieſes großen Meiſters habe ich etwas Aehnli- ches empfunden, und wie dieſer mit Licht und Schatten ſpielt, ja beides zum myſtiſchen Sym- bol erhebt, und dadurch in hoͤherem als dem gewoͤhnlichen Sinne ſeine Gemaͤhlde beleuchtet, eben ſo ſinnig nimmt Pergoleſe die hohen und tiefen Toͤne als Licht und Schatten. In ſeiner Meſſe erinnert das herrliche Gloria unmittelbar an die ſchwebenden und durch einander gaukeln- den Engel in Correggios Nacht, und das Pax hominibus legt ſich wie ein dunkler troͤſtender Schatten uͤber die Erde hin. Unvergleichlich ſingt Clara ſein Salve Regina, und welcher Genuß, von ihr und Roſalien ſein beruͤhmtes Stabat

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/447
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/447>, abgerufen am 22.11.2024.