Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. wahres Ganzes machen; so liebt er es auch, Zu-fälligkeiten, die wohl da seyn, aber auch fehlen können, in sein Spiel aufzunehmen, und seine Rolle, die er einmal damit ausgestattet hat, je- derzeit mit der größten Gewissenhaftigkeit eben so wieder zu geben. So zeigt er uns statt der Leidenschaften einzelne Züge, die er an Leiden- schaftlichen wahrgenommen, zum Beispiel wie dieser oder jener Zornige sich geäußert hat, statt des Gemähldes vom Zorn. Dazu kommt, daß die Natur ihm fast ganz eine Stimme versagt hat, und er, um diese so viel wie möglich zu schonen, für seine Tonlosigkeit eine eigne Modu- lation hat erfinden müssen, woher jenes Zurück- sinken der Stimme, jenes Husten, die Pausen, das Stottern der Verlegenheit, und, um Effekt zu machen, dies plötzliche Aufkreischen nebst an- dern Auswegen entstanden sind, künstliche Be- helfe, theils um den Mangel zu verdecken, theils um aus diesem Mangel selbst eine Art von Schönheit zu bilden. Dieses aber ist es gerade, was an ihm bewundert, ja ihm nachgeahmt wird, und aus welchen Schwächen und Män- geln eine Kritik der Kunst und eine Schauspie- lerschule sich zu verbreiten anfängt, die geradezu alles umkehrt und die Sachen auf den Kopf stellt. Dies ist so wahr, sagte Lothar, daß ich stimm-
Zweite Abtheilung. wahres Ganzes machen; ſo liebt er es auch, Zu-faͤlligkeiten, die wohl da ſeyn, aber auch fehlen koͤnnen, in ſein Spiel aufzunehmen, und ſeine Rolle, die er einmal damit ausgeſtattet hat, je- derzeit mit der groͤßten Gewiſſenhaftigkeit eben ſo wieder zu geben. So zeigt er uns ſtatt der Leidenſchaften einzelne Zuͤge, die er an Leiden- ſchaftlichen wahrgenommen, zum Beiſpiel wie dieſer oder jener Zornige ſich geaͤußert hat, ſtatt des Gemaͤhldes vom Zorn. Dazu kommt, daß die Natur ihm faſt ganz eine Stimme verſagt hat, und er, um dieſe ſo viel wie moͤglich zu ſchonen, fuͤr ſeine Tonloſigkeit eine eigne Modu- lation hat erfinden muͤſſen, woher jenes Zuruͤck- ſinken der Stimme, jenes Huſten, die Pauſen, das Stottern der Verlegenheit, und, um Effekt zu machen, dies ploͤtzliche Aufkreiſchen nebſt an- dern Auswegen entſtanden ſind, kuͤnſtliche Be- helfe, theils um den Mangel zu verdecken, theils um aus dieſem Mangel ſelbſt eine Art von Schoͤnheit zu bilden. Dieſes aber iſt es gerade, was an ihm bewundert, ja ihm nachgeahmt wird, und aus welchen Schwaͤchen und Maͤn- geln eine Kritik der Kunſt und eine Schauſpie- lerſchule ſich zu verbreiten anfaͤngt, die geradezu alles umkehrt und die Sachen auf den Kopf ſtellt. Dies iſt ſo wahr, ſagte Lothar, daß ich ſtimm-
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Zweite Abtheilung.
wahres Ganzes machen; ſo liebt er es auch, Zu-
faͤlligkeiten, die wohl da ſeyn, aber auch fehlen
koͤnnen, in ſein Spiel aufzunehmen, und ſeine
Rolle, die er einmal damit ausgeſtattet hat, je-
derzeit mit der groͤßten Gewiſſenhaftigkeit eben
ſo wieder zu geben. So zeigt er uns ſtatt der
Leidenſchaften einzelne Zuͤge, die er an Leiden-
ſchaftlichen wahrgenommen, zum Beiſpiel wie
dieſer oder jener Zornige ſich geaͤußert hat, ſtatt
des Gemaͤhldes vom Zorn. Dazu kommt, daß
die Natur ihm faſt ganz eine Stimme verſagt
hat, und er, um dieſe ſo viel wie moͤglich zu
ſchonen, fuͤr ſeine Tonloſigkeit eine eigne Modu-
lation hat erfinden muͤſſen, woher jenes Zuruͤck-
ſinken der Stimme, jenes Huſten, die Pauſen,
das Stottern der Verlegenheit, und, um Effekt
zu machen, dies ploͤtzliche Aufkreiſchen nebſt an-
dern Auswegen entſtanden ſind, kuͤnſtliche Be-
helfe, theils um den Mangel zu verdecken, theils
um aus dieſem Mangel ſelbſt eine Art von
Schoͤnheit zu bilden. Dieſes aber iſt es gerade,
was an ihm bewundert, ja ihm nachgeahmt
wird, und aus welchen Schwaͤchen und Maͤn-
geln eine Kritik der Kunſt und eine Schauſpie-
lerſchule ſich zu verbreiten anfaͤngt, die geradezu
alles umkehrt und die Sachen auf den Kopf ſtellt.
Dies iſt ſo wahr, ſagte Lothar, daß ich
Schauſpieler von Talent kenne, welche ein ziem-
lich gutes Organ beſitzen, die ſich aber ſo lange
quaͤlen, bis ſie jenes Tonloſe, weiche Unbe-
ſtimm-
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