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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
Künstler so leicht den Ungezogenheiten der Menge
ausgesetzt sey, denn es ist das stärkste Band,
welches beide verbindet. Ich weiß nicht, daß
in der vieljährigen Ausübung seiner Kunst dem
großen Schauspieler Fleck je eine Unwürdigkeit
zugefügt sey, dasselbe wird Lange in Wien von
sich rühmen können. Ist aber das Publikum,
oder nur eine größere Masse desselben unzufrie-
den, so tragen gewiß der Direktor und die
Schauspieler einen Theil der Schuld. Garrick,
so geehrt und geliebt er war, konnte doch nicht
drei oder vier demüthigenden Kränkungen entgehn,
weil er sich nicht edel betragen, oder seinem Ei-
gensinn zu viel nachgegeben hatte.

Auch die zunehmende Größe der Schauspiel-
häuser, sagte Ernst, verwirrt und hindert die
schönste Ausübung dieser Kunst. Unser Zeital-
ter scheint ausdrücklich ein kurzsichtiges, aber doch
habe ich mit meinen guten Augen oft meine Nach-
barn nicht begreifen können, wenn sie aus der
tiefen Entfernung das geistreiche Minenspiel rühm-
ten, wo ich kaum ein Gesicht unterscheiden konnte,
besonders bei dieser blendenden Erleuchtung unsrer
Bühnen. Verliert sich doch der ganze Schauspie-
ler wie ein Miniaturbildchen in einem ungeheu-
ren Rahmen. Nur in einem mäßigen Saal, wie
in den beiden Stadttheatern in Wien, wird dem
Zuschauer behaglich, nur hier kann er sich in
jenem Rapport mit den Schauspielern befinden,
nur hier kann der Spielende mit Ruhe und Si-

Zweite Abtheilung.
Kuͤnſtler ſo leicht den Ungezogenheiten der Menge
ausgeſetzt ſey, denn es iſt das ſtaͤrkſte Band,
welches beide verbindet. Ich weiß nicht, daß
in der vieljaͤhrigen Ausuͤbung ſeiner Kunſt dem
großen Schauſpieler Fleck je eine Unwuͤrdigkeit
zugefuͤgt ſey, daſſelbe wird Lange in Wien von
ſich ruͤhmen koͤnnen. Iſt aber das Publikum,
oder nur eine groͤßere Maſſe deſſelben unzufrie-
den, ſo tragen gewiß der Direktor und die
Schauſpieler einen Theil der Schuld. Garrick,
ſo geehrt und geliebt er war, konnte doch nicht
drei oder vier demuͤthigenden Kraͤnkungen entgehn,
weil er ſich nicht edel betragen, oder ſeinem Ei-
genſinn zu viel nachgegeben hatte.

Auch die zunehmende Groͤße der Schauſpiel-
haͤuſer, ſagte Ernſt, verwirrt und hindert die
ſchoͤnſte Ausuͤbung dieſer Kunſt. Unſer Zeital-
ter ſcheint ausdruͤcklich ein kurzſichtiges, aber doch
habe ich mit meinen guten Augen oft meine Nach-
barn nicht begreifen koͤnnen, wenn ſie aus der
tiefen Entfernung das geiſtreiche Minenſpiel ruͤhm-
ten, wo ich kaum ein Geſicht unterſcheiden konnte,
beſonders bei dieſer blendenden Erleuchtung unſrer
Buͤhnen. Verliert ſich doch der ganze Schauſpie-
ler wie ein Miniaturbildchen in einem ungeheu-
ren Rahmen. Nur in einem maͤßigen Saal, wie
in den beiden Stadttheatern in Wien, wird dem
Zuſchauer behaglich, nur hier kann er ſich in
jenem Rapport mit den Schauſpielern befinden,
nur hier kann der Spielende mit Ruhe und Si-

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[426/0435] Zweite Abtheilung. Kuͤnſtler ſo leicht den Ungezogenheiten der Menge ausgeſetzt ſey, denn es iſt das ſtaͤrkſte Band, welches beide verbindet. Ich weiß nicht, daß in der vieljaͤhrigen Ausuͤbung ſeiner Kunſt dem großen Schauſpieler Fleck je eine Unwuͤrdigkeit zugefuͤgt ſey, daſſelbe wird Lange in Wien von ſich ruͤhmen koͤnnen. Iſt aber das Publikum, oder nur eine groͤßere Maſſe deſſelben unzufrie- den, ſo tragen gewiß der Direktor und die Schauſpieler einen Theil der Schuld. Garrick, ſo geehrt und geliebt er war, konnte doch nicht drei oder vier demuͤthigenden Kraͤnkungen entgehn, weil er ſich nicht edel betragen, oder ſeinem Ei- genſinn zu viel nachgegeben hatte. Auch die zunehmende Groͤße der Schauſpiel- haͤuſer, ſagte Ernſt, verwirrt und hindert die ſchoͤnſte Ausuͤbung dieſer Kunſt. Unſer Zeital- ter ſcheint ausdruͤcklich ein kurzſichtiges, aber doch habe ich mit meinen guten Augen oft meine Nach- barn nicht begreifen koͤnnen, wenn ſie aus der tiefen Entfernung das geiſtreiche Minenſpiel ruͤhm- ten, wo ich kaum ein Geſicht unterſcheiden konnte, beſonders bei dieſer blendenden Erleuchtung unſrer Buͤhnen. Verliert ſich doch der ganze Schauſpie- ler wie ein Miniaturbildchen in einem ungeheu- ren Rahmen. Nur in einem maͤßigen Saal, wie in den beiden Stadttheatern in Wien, wird dem Zuſchauer behaglich, nur hier kann er ſich in jenem Rapport mit den Schauſpielern befinden, nur hier kann der Spielende mit Ruhe und Si-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/435>, abgerufen am 19.05.2024.