Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. niger als stark berührt, und im nehmlichen Au-genblick, -- wie Recht hat Engel in seiner Mi- mik, daß die Leidenschaft immer den kürzesten Weg geht, und ohne zu überlegen, ob ein Um- weg sie nicht schneller zum Ziele führen möchte, sich durch den dicksten Haufen stürzen wird, -- im nemlichen Augenblicke war ich auch schon, ohne zu wissen, wie (indem ich noch jetzt nicht die Möglichkeit begreife), wem ein Wetterstrahl gleich durch das dichte Gedränge geschlagen, denn ohne Bewußtseyn vernahm ich nur ein dumpfes Ge- töse um mich her. Als ich nach einigen Sekun- den wieder zu mir kam, fand ich mich auf der Brust jenes Soldaten knieend wieder, den ich so fest bei der Gurgel hielt, daß sein aufgelau- fenes Gesicht blau gefärbt und die Augen weit hervor gequollen waren. Fest hielt ich meine Beute, trotz den Versuchen des Grafen Wal- tron und seiner Offiziere, die mit aller Gewalt hinten an meinem Rocke zerrten, um die be- drängte Schildwacht zu erlösen. Ich schalt laut und heftig, und sprach von niederträchtiger Be- handlung der Zuschauer, sagte dem Direktor sehr anzügliche Dinge, wobei ich jenen armseligen Schauspieler zum Zeugen der Missethat und der schlechten Ordnung aufrief, der mich aber ver- läugnete und seinen Patron jetzt nicht kennen wollte, weil viele Soldaten und Offiziere laut von meuterischen Attentaten auf die Reichstrup- pen sprachen und mit Ketten und Gefängniß Zweite Abtheilung. niger als ſtark beruͤhrt, und im nehmlichen Au-genblick, — wie Recht hat Engel in ſeiner Mi- mik, daß die Leidenſchaft immer den kuͤrzeſten Weg geht, und ohne zu uͤberlegen, ob ein Um- weg ſie nicht ſchneller zum Ziele fuͤhren moͤchte, ſich durch den dickſten Haufen ſtuͤrzen wird, — im nemlichen Augenblicke war ich auch ſchon, ohne zu wiſſen, wie (indem ich noch jetzt nicht die Moͤglichkeit begreife), wem ein Wetterſtrahl gleich durch das dichte Gedraͤnge geſchlagen, denn ohne Bewußtſeyn vernahm ich nur ein dumpfes Ge- toͤſe um mich her. Als ich nach einigen Sekun- den wieder zu mir kam, fand ich mich auf der Bruſt jenes Soldaten knieend wieder, den ich ſo feſt bei der Gurgel hielt, daß ſein aufgelau- fenes Geſicht blau gefaͤrbt und die Augen weit hervor gequollen waren. Feſt hielt ich meine Beute, trotz den Verſuchen des Grafen Wal- tron und ſeiner Offiziere, die mit aller Gewalt hinten an meinem Rocke zerrten, um die be- draͤngte Schildwacht zu erloͤſen. Ich ſchalt laut und heftig, und ſprach von niedertraͤchtiger Be- handlung der Zuſchauer, ſagte dem Direktor ſehr anzuͤgliche Dinge, wobei ich jenen armſeligen Schauſpieler zum Zeugen der Miſſethat und der ſchlechten Ordnung aufrief, der mich aber ver- laͤugnete und ſeinen Patron jetzt nicht kennen wollte, weil viele Soldaten und Offiziere laut von meuteriſchen Attentaten auf die Reichstrup- pen ſprachen und mit Ketten und Gefaͤngniß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0408" n="399"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> niger als ſtark beruͤhrt, und im nehmlichen Au-<lb/> genblick, — wie Recht hat Engel in ſeiner Mi-<lb/> mik, daß die Leidenſchaft immer den kuͤrzeſten<lb/> Weg geht, und ohne zu uͤberlegen, ob ein Um-<lb/> weg ſie nicht ſchneller zum Ziele fuͤhren moͤchte,<lb/> ſich durch den dickſten Haufen ſtuͤrzen wird, —<lb/> im nemlichen Augenblicke war ich auch ſchon,<lb/> ohne zu wiſſen, wie (indem ich noch jetzt nicht die<lb/> Moͤglichkeit begreife), wem ein Wetterſtrahl gleich<lb/> durch das dichte Gedraͤnge geſchlagen, denn ohne<lb/> Bewußtſeyn vernahm ich nur ein dumpfes Ge-<lb/> toͤſe um mich her. Als ich nach einigen Sekun-<lb/> den wieder zu mir kam, fand ich mich auf der<lb/> Bruſt jenes Soldaten knieend wieder, den ich<lb/> ſo feſt bei der Gurgel hielt, daß ſein aufgelau-<lb/> fenes Geſicht blau gefaͤrbt und die Augen weit<lb/> hervor gequollen waren. Feſt hielt ich meine<lb/> Beute, trotz den Verſuchen des Grafen Wal-<lb/> tron und ſeiner Offiziere, die mit aller Gewalt<lb/> hinten an meinem Rocke zerrten, um die be-<lb/> draͤngte Schildwacht zu erloͤſen. Ich ſchalt laut<lb/> und heftig, und ſprach von niedertraͤchtiger Be-<lb/> handlung der Zuſchauer, ſagte dem Direktor ſehr<lb/> anzuͤgliche Dinge, wobei ich jenen armſeligen<lb/> Schauſpieler zum Zeugen der Miſſethat und der<lb/> ſchlechten Ordnung aufrief, der mich aber ver-<lb/> laͤugnete und ſeinen Patron jetzt nicht kennen<lb/> wollte, weil viele Soldaten und Offiziere laut<lb/> von meuteriſchen Attentaten auf die Reichstrup-<lb/> pen ſprachen und mit Ketten und Gefaͤngniß<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [399/0408]
Zweite Abtheilung.
niger als ſtark beruͤhrt, und im nehmlichen Au-
genblick, — wie Recht hat Engel in ſeiner Mi-
mik, daß die Leidenſchaft immer den kuͤrzeſten
Weg geht, und ohne zu uͤberlegen, ob ein Um-
weg ſie nicht ſchneller zum Ziele fuͤhren moͤchte,
ſich durch den dickſten Haufen ſtuͤrzen wird, —
im nemlichen Augenblicke war ich auch ſchon,
ohne zu wiſſen, wie (indem ich noch jetzt nicht die
Moͤglichkeit begreife), wem ein Wetterſtrahl gleich
durch das dichte Gedraͤnge geſchlagen, denn ohne
Bewußtſeyn vernahm ich nur ein dumpfes Ge-
toͤſe um mich her. Als ich nach einigen Sekun-
den wieder zu mir kam, fand ich mich auf der
Bruſt jenes Soldaten knieend wieder, den ich
ſo feſt bei der Gurgel hielt, daß ſein aufgelau-
fenes Geſicht blau gefaͤrbt und die Augen weit
hervor gequollen waren. Feſt hielt ich meine
Beute, trotz den Verſuchen des Grafen Wal-
tron und ſeiner Offiziere, die mit aller Gewalt
hinten an meinem Rocke zerrten, um die be-
draͤngte Schildwacht zu erloͤſen. Ich ſchalt laut
und heftig, und ſprach von niedertraͤchtiger Be-
handlung der Zuſchauer, ſagte dem Direktor ſehr
anzuͤgliche Dinge, wobei ich jenen armſeligen
Schauſpieler zum Zeugen der Miſſethat und der
ſchlechten Ordnung aufrief, der mich aber ver-
laͤugnete und ſeinen Patron jetzt nicht kennen
wollte, weil viele Soldaten und Offiziere laut
von meuteriſchen Attentaten auf die Reichstrup-
pen ſprachen und mit Ketten und Gefaͤngniß
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