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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.

Im Zittauischen Schultheater, fuhr Man-
fred fort, fand ich eine Comödie mit dem Ti-
tel, "die verkehrte Welt;" beim Lesen erzeugte
sich in mir gegenwärtige, in welcher ich aber
nur einen Einfall von dem alten Rektor Weise
geborgt habe. Dieser Autor erzählt, daß die
Bilderchen, die man wohl sonst auf den Märk-
ten feil hatte, auf welchen der Schlächter ge-
schlachtet und der Fischer geangelt wird (Kin-
dern gefällt gewöhnlich die Gruppe am besten,
wo der kleine Zögling seinen Schulmeister züch-
tigt), ihm die Veranlassung zu seinem Schau-
spiele gegeben hätten.

Es war schon spät geworden und man setzte
sich zum Abendessen nieder, Lothar war noch nicht
zurück gekommen. Jetzt hörte man ein klappern-
des Pferd den Felsenweg herunter, und nach
einiger Zeit erschien auch der vermißte Freund,
welcher sich hatte umkleiden müssen, da er vom
Regen durchnäßt war. Er war das Ziel vieler
Spöttereien, besonders war Wilibald unerschöpf-
lich, diese seltsame Leidenschaft fürs Theater in
das grellste Licht zu stellen, die Frauen lachten
herzlich und Lothar selbst spottete über sich, und
erzählte manche drollige Geschichtchen und Ver-
legenheiten, in welche ihn oftmals, vorzüglich
in früherer Jugend, seine übertriebene Vorliebe
für die Bühne versetzt hatte. Lacht und spottet
nur, meine Freunde, rief er aus, selbst dadurch
wird mein Vergnügen erhöht, und es verführt

Zweite Abtheilung.

Im Zittauiſchen Schultheater, fuhr Man-
fred fort, fand ich eine Comoͤdie mit dem Ti-
tel, „die verkehrte Welt;“ beim Leſen erzeugte
ſich in mir gegenwaͤrtige, in welcher ich aber
nur einen Einfall von dem alten Rektor Weiſe
geborgt habe. Dieſer Autor erzaͤhlt, daß die
Bilderchen, die man wohl ſonſt auf den Maͤrk-
ten feil hatte, auf welchen der Schlaͤchter ge-
ſchlachtet und der Fiſcher geangelt wird (Kin-
dern gefaͤllt gewoͤhnlich die Gruppe am beſten,
wo der kleine Zoͤgling ſeinen Schulmeiſter zuͤch-
tigt), ihm die Veranlaſſung zu ſeinem Schau-
ſpiele gegeben haͤtten.

Es war ſchon ſpaͤt geworden und man ſetzte
ſich zum Abendeſſen nieder, Lothar war noch nicht
zuruͤck gekommen. Jetzt hoͤrte man ein klappern-
des Pferd den Felſenweg herunter, und nach
einiger Zeit erſchien auch der vermißte Freund,
welcher ſich hatte umkleiden muͤſſen, da er vom
Regen durchnaͤßt war. Er war das Ziel vieler
Spoͤttereien, beſonders war Wilibald unerſchoͤpf-
lich, dieſe ſeltſame Leidenſchaft fuͤrs Theater in
das grellſte Licht zu ſtellen, die Frauen lachten
herzlich und Lothar ſelbſt ſpottete uͤber ſich, und
erzaͤhlte manche drollige Geſchichtchen und Ver-
legenheiten, in welche ihn oftmals, vorzuͤglich
in fruͤherer Jugend, ſeine uͤbertriebene Vorliebe
fuͤr die Buͤhne verſetzt hatte. Lacht und ſpottet
nur, meine Freunde, rief er aus, ſelbſt dadurch
wird mein Vergnuͤgen erhoͤht, und es verfuͤhrt

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[387/0396] Zweite Abtheilung. Im Zittauiſchen Schultheater, fuhr Man- fred fort, fand ich eine Comoͤdie mit dem Ti- tel, „die verkehrte Welt;“ beim Leſen erzeugte ſich in mir gegenwaͤrtige, in welcher ich aber nur einen Einfall von dem alten Rektor Weiſe geborgt habe. Dieſer Autor erzaͤhlt, daß die Bilderchen, die man wohl ſonſt auf den Maͤrk- ten feil hatte, auf welchen der Schlaͤchter ge- ſchlachtet und der Fiſcher geangelt wird (Kin- dern gefaͤllt gewoͤhnlich die Gruppe am beſten, wo der kleine Zoͤgling ſeinen Schulmeiſter zuͤch- tigt), ihm die Veranlaſſung zu ſeinem Schau- ſpiele gegeben haͤtten. Es war ſchon ſpaͤt geworden und man ſetzte ſich zum Abendeſſen nieder, Lothar war noch nicht zuruͤck gekommen. Jetzt hoͤrte man ein klappern- des Pferd den Felſenweg herunter, und nach einiger Zeit erſchien auch der vermißte Freund, welcher ſich hatte umkleiden muͤſſen, da er vom Regen durchnaͤßt war. Er war das Ziel vieler Spoͤttereien, beſonders war Wilibald unerſchoͤpf- lich, dieſe ſeltſame Leidenſchaft fuͤrs Theater in das grellſte Licht zu ſtellen, die Frauen lachten herzlich und Lothar ſelbſt ſpottete uͤber ſich, und erzaͤhlte manche drollige Geſchichtchen und Ver- legenheiten, in welche ihn oftmals, vorzuͤglich in fruͤherer Jugend, ſeine uͤbertriebene Vorliebe fuͤr die Buͤhne verſetzt hatte. Lacht und ſpottet nur, meine Freunde, rief er aus, ſelbſt dadurch wird mein Vergnuͤgen erhoͤht, und es verfuͤhrt

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/396>, abgerufen am 24.05.2024.