Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. Wie ist sein Loos zu neiden! -- Furchtbar klingtDer Zug von Wasservögeln über mir; Wie grauenhaft dehnt sich die Dunkelheit So tief hinaus und dämmert ungewiß Vom Widerschein der Sterne in der Fluth; Bald spricht die Welle wie mit Menschenstimmen; Und höhnt mein einsam Leiden boshaft spottend; Bald sieht mein schwindelnder Blick in grauer Ferne Ein Land so wie in Wolken stehn, mit Bergen, Mit Bäumen ausgeschmückt, und meine Sehnsucht Vernimmt ein Waldgeräusch, der Aexte Klang, Den Fall der Bäume: dann vergeß ich wohl, Daß diese Klippe meine Heimath ist. -- (Die Sonne geht auf.) Mit welcher Wonne füllt mich dieser Blick An jedem Morgen! Furchtbar majestätisch Ergießt aus allen Quellen sich das Meer Der purpurrothen Fluthen, goldne Schimmer Entsprühen funkelnd aus der grünen Fluth; Die Wogen klingen bis zum Grund der Tiefe Geheimen Lobgesang, die Adler ziehn Aus ihren Nestern übers Meer dahin, Und fliegen mit dem Gruß der Sonn' entgegen. Was ist der Mensch, daß er um Leiden jammert? Wer sieht die Allmacht, die mit goldnem Fittig So unermeßlich in die Welt hinein rauscht Und denkt an sich? hinweg, du kindisch Zagen! Mein Geist fliegt mit den Adlern, sich zu baden, Zu trinken aus dem Morgenroth; die Fluth Schlägt jauchzend höher, jede Woge taumelt Vor Freude und Entzücken. Armer Mensch, Zweite Abtheilung. Wie iſt ſein Loos zu neiden! — Furchtbar klingtDer Zug von Waſſervoͤgeln uͤber mir; Wie grauenhaft dehnt ſich die Dunkelheit So tief hinaus und daͤmmert ungewiß Vom Widerſchein der Sterne in der Fluth; Bald ſpricht die Welle wie mit Menſchenſtimmen; Und hoͤhnt mein einſam Leiden boshaft ſpottend; Bald ſieht mein ſchwindelnder Blick in grauer Ferne Ein Land ſo wie in Wolken ſtehn, mit Bergen, Mit Baͤumen ausgeſchmuͤckt, und meine Sehnſucht Vernimmt ein Waldgeraͤuſch, der Aexte Klang, Den Fall der Baͤume: dann vergeß ich wohl, Daß dieſe Klippe meine Heimath iſt. — (Die Sonne geht auf.) Mit welcher Wonne fuͤllt mich dieſer Blick An jedem Morgen! Furchtbar majeſtaͤtiſch Ergießt aus allen Quellen ſich das Meer Der purpurrothen Fluthen, goldne Schimmer Entſpruͤhen funkelnd aus der gruͤnen Fluth; Die Wogen klingen bis zum Grund der Tiefe Geheimen Lobgeſang, die Adler ziehn Aus ihren Neſtern uͤbers Meer dahin, Und fliegen mit dem Gruß der Sonn' entgegen. Was iſt der Menſch, daß er um Leiden jammert? Wer ſieht die Allmacht, die mit goldnem Fittig So unermeßlich in die Welt hinein rauſcht Und denkt an ſich? hinweg, du kindiſch Zagen! Mein Geiſt fliegt mit den Adlern, ſich zu baden, Zu trinken aus dem Morgenroth; die Fluth Schlaͤgt jauchzend hoͤher, jede Woge taumelt Vor Freude und Entzuͤcken. Armer Menſch, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#SEELM"> <p><pb facs="#f0365" n="356"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> Wie iſt ſein Loos zu neiden! — Furchtbar klingt<lb/> Der Zug von Waſſervoͤgeln uͤber mir;<lb/> Wie grauenhaft dehnt ſich die Dunkelheit<lb/> So tief hinaus und daͤmmert ungewiß<lb/> Vom Widerſchein der Sterne in der Fluth;<lb/> Bald ſpricht die Welle wie mit Menſchenſtimmen;<lb/> Und hoͤhnt mein einſam Leiden boshaft ſpottend;<lb/> Bald ſieht mein ſchwindelnder Blick in grauer Ferne<lb/> Ein Land ſo wie in Wolken ſtehn, mit Bergen,<lb/> Mit Baͤumen ausgeſchmuͤckt, und meine Sehnſucht<lb/> Vernimmt ein Waldgeraͤuſch, der Aexte Klang,<lb/> Den Fall der Baͤume: dann vergeß ich wohl,<lb/> Daß dieſe Klippe meine Heimath iſt. —</p><lb/> <stage> <hi rendition="#et">(Die Sonne geht auf.)</hi> </stage><lb/> <p>Mit welcher Wonne fuͤllt mich dieſer Blick<lb/> An jedem Morgen! Furchtbar majeſtaͤtiſch<lb/> Ergießt aus allen Quellen ſich das Meer<lb/> Der purpurrothen Fluthen, goldne Schimmer<lb/> Entſpruͤhen funkelnd aus der gruͤnen Fluth;<lb/> Die Wogen klingen bis zum Grund der Tiefe<lb/> Geheimen Lobgeſang, die Adler ziehn<lb/> Aus ihren Neſtern uͤbers Meer dahin,<lb/> Und fliegen mit dem Gruß der Sonn' entgegen.<lb/> Was iſt der Menſch, daß er um Leiden jammert?<lb/> Wer ſieht die Allmacht, die mit goldnem Fittig<lb/> So unermeßlich in die Welt hinein rauſcht<lb/> Und denkt an ſich? hinweg, du kindiſch Zagen!<lb/> Mein Geiſt fliegt mit den Adlern, ſich zu baden,<lb/> Zu trinken aus dem Morgenroth; die Fluth<lb/> Schlaͤgt jauchzend hoͤher, jede Woge taumelt<lb/> Vor Freude und Entzuͤcken. Armer Menſch,<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [356/0365]
Zweite Abtheilung.
Wie iſt ſein Loos zu neiden! — Furchtbar klingt
Der Zug von Waſſervoͤgeln uͤber mir;
Wie grauenhaft dehnt ſich die Dunkelheit
So tief hinaus und daͤmmert ungewiß
Vom Widerſchein der Sterne in der Fluth;
Bald ſpricht die Welle wie mit Menſchenſtimmen;
Und hoͤhnt mein einſam Leiden boshaft ſpottend;
Bald ſieht mein ſchwindelnder Blick in grauer Ferne
Ein Land ſo wie in Wolken ſtehn, mit Bergen,
Mit Baͤumen ausgeſchmuͤckt, und meine Sehnſucht
Vernimmt ein Waldgeraͤuſch, der Aexte Klang,
Den Fall der Baͤume: dann vergeß ich wohl,
Daß dieſe Klippe meine Heimath iſt. —
(Die Sonne geht auf.)
Mit welcher Wonne fuͤllt mich dieſer Blick
An jedem Morgen! Furchtbar majeſtaͤtiſch
Ergießt aus allen Quellen ſich das Meer
Der purpurrothen Fluthen, goldne Schimmer
Entſpruͤhen funkelnd aus der gruͤnen Fluth;
Die Wogen klingen bis zum Grund der Tiefe
Geheimen Lobgeſang, die Adler ziehn
Aus ihren Neſtern uͤbers Meer dahin,
Und fliegen mit dem Gruß der Sonn' entgegen.
Was iſt der Menſch, daß er um Leiden jammert?
Wer ſieht die Allmacht, die mit goldnem Fittig
So unermeßlich in die Welt hinein rauſcht
Und denkt an ſich? hinweg, du kindiſch Zagen!
Mein Geiſt fliegt mit den Adlern, ſich zu baden,
Zu trinken aus dem Morgenroth; die Fluth
Schlaͤgt jauchzend hoͤher, jede Woge taumelt
Vor Freude und Entzuͤcken. Armer Menſch,
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