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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Der Blaubart.
Simon. Bruder, ich habe die ganze Nacht
nicht schlafen können. --
Anton. So? -- Ich schlief desto besser.
Simon. Du siehst, daß jetzt meine Prophe-
zeiungen, oder Ahndungen, Du magst es nennen,
wie Du willst, etwas mehr eintreffen als sonst.
Anton. Deine Narrheit anzuhören hab ich
also aufstehn müssen?
Simon. Ich habs vorher gesagt, daß un-
ser Bruder die Tochter des Ritters Hans von
Marloff entführt habe, und gestern Abend war
der alte Mann auch deswegen hier.
Anton. Das konnte jedermann errathen.
Simon. Und in dieser Nacht hab ich unsre
Schwester unaufhörlich weinen sehn, und ich habe
mich beständig mit dem Blaubart herum gestochen.
Anton. Und was folgt daraus?
Simon. Sie ist in Lebensgefahr, ich ver-
sichre es Dir, Bruder, der Blaubart ist ein Bö-
sewicht, das Nähere kann ich nicht wissen, aber
genug, daß er es ist. Wenn aber nur die Mög-
lichkeit nicht zu läugnen steht, so mußt du mich
anhören; diese aber kannst du unmöglich läugnen,
oder Du bist der Unsinnige.
Anton. Gute Nacht, Bruder, deine Art
zu räsonniren ist mir zu bündig.
Simon. Bruder, ist es nicht genug, daß
Du Deine Schwester an einen solchen Verworfnen
verschleudert hast? Willst Du sie nun auch noch
schändlicherweise in der höchsten Noth ihres Lebens
verlassen? Bist du bloß deswegen ihr Bruder,
Der Blaubart.
Simon. Bruder, ich habe die ganze Nacht
nicht ſchlafen koͤnnen. —
Anton. So? — Ich ſchlief deſto beſſer.
Simon. Du ſiehſt, daß jetzt meine Prophe-
zeiungen, oder Ahndungen, Du magſt es nennen,
wie Du willſt, etwas mehr eintreffen als ſonſt.
Anton. Deine Narrheit anzuhoͤren hab ich
alſo aufſtehn muͤſſen?
Simon. Ich habs vorher geſagt, daß un-
ſer Bruder die Tochter des Ritters Hans von
Marloff entfuͤhrt habe, und geſtern Abend war
der alte Mann auch deswegen hier.
Anton. Das konnte jedermann errathen.
Simon. Und in dieſer Nacht hab ich unſre
Schweſter unaufhoͤrlich weinen ſehn, und ich habe
mich beſtaͤndig mit dem Blaubart herum geſtochen.
Anton. Und was folgt daraus?
Simon. Sie iſt in Lebensgefahr, ich ver-
ſichre es Dir, Bruder, der Blaubart iſt ein Boͤ-
ſewicht, das Naͤhere kann ich nicht wiſſen, aber
genug, daß er es iſt. Wenn aber nur die Moͤg-
lichkeit nicht zu laͤugnen ſteht, ſo mußt du mich
anhoͤren; dieſe aber kannſt du unmoͤglich laͤugnen,
oder Du biſt der Unſinnige.
Anton. Gute Nacht, Bruder, deine Art
zu raͤſonniren iſt mir zu buͤndig.
Simon. Bruder, iſt es nicht genug, daß
Du Deine Schweſter an einen ſolchen Verworfnen
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[107/0116] Der Blaubart. Simon. Bruder, ich habe die ganze Nacht nicht ſchlafen koͤnnen. — Anton. So? — Ich ſchlief deſto beſſer. Simon. Du ſiehſt, daß jetzt meine Prophe- zeiungen, oder Ahndungen, Du magſt es nennen, wie Du willſt, etwas mehr eintreffen als ſonſt. Anton. Deine Narrheit anzuhoͤren hab ich alſo aufſtehn muͤſſen? Simon. Ich habs vorher geſagt, daß un- ſer Bruder die Tochter des Ritters Hans von Marloff entfuͤhrt habe, und geſtern Abend war der alte Mann auch deswegen hier. Anton. Das konnte jedermann errathen. Simon. Und in dieſer Nacht hab ich unſre Schweſter unaufhoͤrlich weinen ſehn, und ich habe mich beſtaͤndig mit dem Blaubart herum geſtochen. Anton. Und was folgt daraus? Simon. Sie iſt in Lebensgefahr, ich ver- ſichre es Dir, Bruder, der Blaubart iſt ein Boͤ- ſewicht, das Naͤhere kann ich nicht wiſſen, aber genug, daß er es iſt. Wenn aber nur die Moͤg- lichkeit nicht zu laͤugnen ſteht, ſo mußt du mich anhoͤren; dieſe aber kannſt du unmoͤglich laͤugnen, oder Du biſt der Unſinnige. Anton. Gute Nacht, Bruder, deine Art zu raͤſonniren iſt mir zu buͤndig. Simon. Bruder, iſt es nicht genug, daß Du Deine Schweſter an einen ſolchen Verworfnen verſchleudert haſt? Willſt Du ſie nun auch noch ſchaͤndlicherweiſe in der hoͤchſten Noth ihres Lebens verlaſſen? Biſt du bloß deswegen ihr Bruder,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/116>, abgerufen am 24.11.2024.