Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Einleitung. len; er erzählte so lannig, wie und auf welchenWegen er nach so manchen komischen Verirrun- gen von dieser Schwachheit zurück gekommen sei, und, siehe, noch in derselben Stunde nahm er den alten Landjunker von drüben in die Beichte und suchte ihm das Verständniß für den Ham- let aufzuschließen, der nur immer wieder darauf zurück kam, daß man beim Aufführen die Tod- tengräber-Scene nicht auslassen dürfe, weil sie die beste im ganzen Stücke sei. Mir scheint es eine wahre Krankheit, sich in einen Autor, habe er Namen wie er wolle, so durchaus zu ver- tiefen, und ich glaube, daß durch das zu starre Hinschauen das Auge am Ende eben so geblen- det werde, wie durch ein irres Herumfahren von einem Gegenstande zum andern. Selbst bei Wei- bern, die Schmeicheleien von ihm erwarten, bricht er in Lobpreisungen des Lear und Macbeth aus, und die einfältigste kann ihm liebenswürdig und klug erscheinen, wenn sie nur Geduld genug hat, ihm stundenlang zuzuhören. Gegen unsern Ernst kannst du wohl schwer- Er ist mir vielleicht der verdrießlichste von Einleitung. len; er erzaͤhlte ſo lannig, wie und auf welchenWegen er nach ſo manchen komiſchen Verirrun- gen von dieſer Schwachheit zuruͤck gekommen ſei, und, ſiehe, noch in derſelben Stunde nahm er den alten Landjunker von druͤben in die Beichte und ſuchte ihm das Verſtaͤndniß fuͤr den Ham- let aufzuſchließen, der nur immer wieder darauf zuruͤck kam, daß man beim Auffuͤhren die Tod- tengraͤber-Scene nicht auslaſſen duͤrfe, weil ſie die beſte im ganzen Stuͤcke ſei. Mir ſcheint es eine wahre Krankheit, ſich in einen Autor, habe er Namen wie er wolle, ſo durchaus zu ver- tiefen, und ich glaube, daß durch das zu ſtarre Hinſchauen das Auge am Ende eben ſo geblen- det werde, wie durch ein irres Herumfahren von einem Gegenſtande zum andern. Selbſt bei Wei- bern, die Schmeicheleien von ihm erwarten, bricht er in Lobpreiſungen des Lear und Macbeth aus, und die einfaͤltigſte kann ihm liebenswuͤrdig und klug erſcheinen, wenn ſie nur Geduld genug hat, ihm ſtundenlang zuzuhoͤren. Gegen unſern Ernſt kannſt du wohl ſchwer- Er iſt mir vielleicht der verdrießlichſte von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0068" n="57"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> len; er erzaͤhlte ſo lannig, wie und auf welchen<lb/> Wegen er nach ſo manchen komiſchen Verirrun-<lb/> gen von dieſer Schwachheit zuruͤck gekommen ſei,<lb/> und, ſiehe, noch in derſelben Stunde nahm er<lb/> den alten Landjunker von druͤben in die Beichte<lb/> und ſuchte ihm das Verſtaͤndniß fuͤr den Ham-<lb/> let aufzuſchließen, der nur immer wieder darauf<lb/> zuruͤck kam, daß man beim Auffuͤhren die Tod-<lb/> tengraͤber-Scene nicht auslaſſen duͤrfe, weil ſie<lb/> die beſte im ganzen Stuͤcke ſei. Mir ſcheint es<lb/> eine wahre Krankheit, ſich in einen Autor, habe<lb/> er Namen wie er wolle, ſo durchaus zu ver-<lb/> tiefen, und ich glaube, daß durch das zu ſtarre<lb/> Hinſchauen das Auge am Ende eben ſo geblen-<lb/> det werde, wie durch ein irres Herumfahren von<lb/> einem Gegenſtande zum andern. Selbſt bei Wei-<lb/> bern, die Schmeicheleien von ihm erwarten, bricht<lb/> er in Lobpreiſungen des Lear und Macbeth aus,<lb/> und die einfaͤltigſte kann ihm liebenswuͤrdig und<lb/> klug erſcheinen, wenn ſie nur Geduld genug hat,<lb/> ihm ſtundenlang zuzuhoͤren.</p><lb/> <p>Gegen unſern Ernſt kannſt du wohl ſchwer-<lb/> lich dergleichen einwenden? fragte Theodor.</p><lb/> <p>Er iſt mir vielleicht der verdrießlichſte von<lb/> allen, fiel Wilibald ein; er, der alles beſſer<lb/> weiß, beſſer wuͤrde gemacht haben, der ſchon<lb/> ſeit Jahren geſehn hat, wohin alles kommen<lb/> wird, der ſelten jemand ausſprechen laͤßt, ihn<lb/> zu verſtehn ſich aber niemals die Muͤhe giebt,<lb/> weil er ſchon im voraus uͤberzeugt iſt, er muͤſſe<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [57/0068]
Einleitung.
len; er erzaͤhlte ſo lannig, wie und auf welchen
Wegen er nach ſo manchen komiſchen Verirrun-
gen von dieſer Schwachheit zuruͤck gekommen ſei,
und, ſiehe, noch in derſelben Stunde nahm er
den alten Landjunker von druͤben in die Beichte
und ſuchte ihm das Verſtaͤndniß fuͤr den Ham-
let aufzuſchließen, der nur immer wieder darauf
zuruͤck kam, daß man beim Auffuͤhren die Tod-
tengraͤber-Scene nicht auslaſſen duͤrfe, weil ſie
die beſte im ganzen Stuͤcke ſei. Mir ſcheint es
eine wahre Krankheit, ſich in einen Autor, habe
er Namen wie er wolle, ſo durchaus zu ver-
tiefen, und ich glaube, daß durch das zu ſtarre
Hinſchauen das Auge am Ende eben ſo geblen-
det werde, wie durch ein irres Herumfahren von
einem Gegenſtande zum andern. Selbſt bei Wei-
bern, die Schmeicheleien von ihm erwarten, bricht
er in Lobpreiſungen des Lear und Macbeth aus,
und die einfaͤltigſte kann ihm liebenswuͤrdig und
klug erſcheinen, wenn ſie nur Geduld genug hat,
ihm ſtundenlang zuzuhoͤren.
Gegen unſern Ernſt kannſt du wohl ſchwer-
lich dergleichen einwenden? fragte Theodor.
Er iſt mir vielleicht der verdrießlichſte von
allen, fiel Wilibald ein; er, der alles beſſer
weiß, beſſer wuͤrde gemacht haben, der ſchon
ſeit Jahren geſehn hat, wohin alles kommen
wird, der ſelten jemand ausſprechen laͤßt, ihn
zu verſtehn ſich aber niemals die Muͤhe giebt,
weil er ſchon im voraus uͤberzeugt iſt, er muͤſſe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |