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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
andern muthig und unternehmend zu sein, der
Mensch genießt alsdann das Vergnügen des Wa-
gehalses zugleich mit der Lust der Sicherheit.

Mein Freund, sagte Friedrich, ich habe lange
geduldet, gefühlt und geprüft, und mich gereut,
daß ich nicht schon früher gethan habe, was du
übereilt nennen würdest. Sind wir ganz von
einem Gefühl durchdrungen, so handeln wir am
stärksten und konsequentesten, wenn wir ohne
Reflexion diesem folgen. Doch, laß uns jetzt
davon abbrechen.

Ich mißverstehe dich wohl nur, sagte Anton,
weil du mir nicht genug vertraut hast.

Auch dazu werden sich die Stunden finden,
antwortete Friedrich. In der Entfernung hatte
ich mir vorgesetzt, dir alles zu sagen, und nun
du zugegen bist, stammelt meine Zunge, und
jedes Bekenntniß zittert zurück. Ihre Gestalt
und Holdseligkeit tönt wie auf einer Harfe ewig
in meinem Herzen und jede säuselnde Luft weckt
neue Klänge auf; ich liebe dich und meine Freunde
inniger als sonst, aber ohne Worte fühl' ich
mich in eurer Brust, und jetzt wenigstens schiene
mir jedes Wort ein Verrath.

Träume nur deinen schönen Traum zu En-
de, sagte Anton, berausche dich in deinem Glück,
du gehörst jetzt nicht der Erde; nachher finden
wir uns wieder alle beisammen, denn irgend
einmal muß der arme Mensch doch erwachen und
nüchtern werden.


Einleitung.
andern muthig und unternehmend zu ſein, der
Menſch genießt alsdann das Vergnuͤgen des Wa-
gehalſes zugleich mit der Luſt der Sicherheit.

Mein Freund, ſagte Friedrich, ich habe lange
geduldet, gefuͤhlt und gepruͤft, und mich gereut,
daß ich nicht ſchon fruͤher gethan habe, was du
uͤbereilt nennen wuͤrdeſt. Sind wir ganz von
einem Gefuͤhl durchdrungen, ſo handeln wir am
ſtaͤrkſten und konſequenteſten, wenn wir ohne
Reflexion dieſem folgen. Doch, laß uns jetzt
davon abbrechen.

Ich mißverſtehe dich wohl nur, ſagte Anton,
weil du mir nicht genug vertraut haſt.

Auch dazu werden ſich die Stunden finden,
antwortete Friedrich. In der Entfernung hatte
ich mir vorgeſetzt, dir alles zu ſagen, und nun
du zugegen biſt, ſtammelt meine Zunge, und
jedes Bekenntniß zittert zuruͤck. Ihre Geſtalt
und Holdſeligkeit toͤnt wie auf einer Harfe ewig
in meinem Herzen und jede ſaͤuſelnde Luft weckt
neue Klaͤnge auf; ich liebe dich und meine Freunde
inniger als ſonſt, aber ohne Worte fuͤhl' ich
mich in eurer Bruſt, und jetzt wenigſtens ſchiene
mir jedes Wort ein Verrath.

Traͤume nur deinen ſchoͤnen Traum zu En-
de, ſagte Anton, berauſche dich in deinem Gluͤck,
du gehoͤrſt jetzt nicht der Erde; nachher finden
wir uns wieder alle beiſammen, denn irgend
einmal muß der arme Menſch doch erwachen und
nuͤchtern werden.


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[47/0058] Einleitung. andern muthig und unternehmend zu ſein, der Menſch genießt alsdann das Vergnuͤgen des Wa- gehalſes zugleich mit der Luſt der Sicherheit. Mein Freund, ſagte Friedrich, ich habe lange geduldet, gefuͤhlt und gepruͤft, und mich gereut, daß ich nicht ſchon fruͤher gethan habe, was du uͤbereilt nennen wuͤrdeſt. Sind wir ganz von einem Gefuͤhl durchdrungen, ſo handeln wir am ſtaͤrkſten und konſequenteſten, wenn wir ohne Reflexion dieſem folgen. Doch, laß uns jetzt davon abbrechen. Ich mißverſtehe dich wohl nur, ſagte Anton, weil du mir nicht genug vertraut haſt. Auch dazu werden ſich die Stunden finden, antwortete Friedrich. In der Entfernung hatte ich mir vorgeſetzt, dir alles zu ſagen, und nun du zugegen biſt, ſtammelt meine Zunge, und jedes Bekenntniß zittert zuruͤck. Ihre Geſtalt und Holdſeligkeit toͤnt wie auf einer Harfe ewig in meinem Herzen und jede ſaͤuſelnde Luft weckt neue Klaͤnge auf; ich liebe dich und meine Freunde inniger als ſonſt, aber ohne Worte fuͤhl' ich mich in eurer Bruſt, und jetzt wenigſtens ſchiene mir jedes Wort ein Verrath. Traͤume nur deinen ſchoͤnen Traum zu En- de, ſagte Anton, berauſche dich in deinem Gluͤck, du gehoͤrſt jetzt nicht der Erde; nachher finden wir uns wieder alle beiſammen, denn irgend einmal muß der arme Menſch doch erwachen und nuͤchtern werden.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/58>, abgerufen am 04.05.2024.