Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Rothkäppchen. Die Angst befiel den Baum, als er so sprach,Er zittert fort bis an den jüngsten Tag. Rothkäppchen. Ja, ja, wer nicht bei Zeiten hört, der fühle! -- Leb wohl, ich geh zurück, noch ist es kühle. Großmutter. Mein Kind, eh du dich nun entfernt, Sing noch das Lied, das du gelernt. Rothkäppchen (singt). Misekätzchen ging spazieren Auf dem Dach am hellen Tag, Macht sich an den Taubenschlag, Eine Taub' zu attrapiren. Miau! Miau! Schlüpft wohl in das Loch hinein, Aber kaum ist sie darein, Ist der Appetit vergangen: Eine Falle, siehst du, fällt, Für den Marder aufgestellt, Und das Kätzchen muß drin hangen, Und im Sterben schreit sie: trau Nicht auf Diebstahl je, Miau! Großmutter. Das ist ein schönes Lied, das nimm in Acht, Untugend hat noch nie was eingebracht. -- Grüß deine Mutter, ich lasse mich bedanken, Daß sie nicht vergißt die Alten und Kranken. Rothkäppchen. Leb wohl, Großmutter! ich komme wohl wieder, Und bringe Nachmittag noch Essen herüber. (geht.) Großmutter. Da läßt der Ruschel die Hofthür auf! Rothkaͤppchen. Die Angſt befiel den Baum, als er ſo ſprach,Er zittert fort bis an den juͤngſten Tag. Rothkaͤppchen. Ja, ja, wer nicht bei Zeiten hoͤrt, der fuͤhle! — Leb wohl, ich geh zuruͤck, noch iſt es kuͤhle. Großmutter. Mein Kind, eh du dich nun entfernt, Sing noch das Lied, das du gelernt. Rothkaͤppchen (ſingt). Miſekaͤtzchen ging ſpazieren Auf dem Dach am hellen Tag, Macht ſich an den Taubenſchlag, Eine Taub' zu attrapiren. Miau! Miau! Schluͤpft wohl in das Loch hinein, Aber kaum iſt ſie darein, Iſt der Appetit vergangen: Eine Falle, ſiehſt du, faͤllt, Fuͤr den Marder aufgeſtellt, Und das Kaͤtzchen muß drin hangen, Und im Sterben ſchreit ſie: trau Nicht auf Diebſtahl je, Miau! Großmutter. Das iſt ein ſchoͤnes Lied, das nimm in Acht, Untugend hat noch nie was eingebracht. — Gruͤß deine Mutter, ich laſſe mich bedanken, Daß ſie nicht vergißt die Alten und Kranken. Rothkaͤppchen. Leb wohl, Großmutter! ich komme wohl wieder, Und bringe Nachmittag noch Eſſen heruͤber. (geht.) Großmutter. Da laͤßt der Ruſchel die Hofthuͤr auf! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#GRANM"> <p><pb facs="#f0498" n="487"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Rothkaͤppchen</hi>.</fw><lb/> Die Angſt befiel den Baum, als er ſo ſprach,<lb/> Er zittert fort bis an den juͤngſten Tag.</p> </sp><lb/> <sp who="#ROT"> <speaker><hi rendition="#g">Rothkaͤppchen</hi>.</speaker><lb/> <p>Ja, ja, wer nicht bei Zeiten hoͤrt, der fuͤhle! —<lb/> Leb wohl, ich geh zuruͤck, noch iſt es kuͤhle.</p> </sp><lb/> <sp who="#GRANM"> <speaker><hi rendition="#g">Großmutter</hi>.</speaker><lb/> <p>Mein Kind, eh du dich nun entfernt,<lb/> Sing noch das Lied, das du gelernt.</p> </sp><lb/> <sp who="#ROT"> <speaker> <hi rendition="#g">Rothkaͤppchen</hi> </speaker> <stage>(ſingt).</stage><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Miſekaͤtzchen ging ſpazieren</l><lb/> <l>Auf dem Dach am hellen Tag,</l><lb/> <l>Macht ſich an den Taubenſchlag,</l><lb/> <l>Eine Taub' zu attrapiren.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Miau! Miau!</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Schluͤpft wohl in das Loch hinein,</l><lb/> <l>Aber kaum iſt ſie darein,</l><lb/> <l>Iſt der Appetit vergangen:</l><lb/> <l>Eine Falle, ſiehſt du, faͤllt,</l><lb/> <l>Fuͤr den Marder aufgeſtellt,</l><lb/> <l>Und das Kaͤtzchen muß drin hangen,</l><lb/> <l>Und im Sterben ſchreit ſie: trau</l><lb/> <l>Nicht auf Diebſtahl je, Miau!</l> </lg> </lg> </sp><lb/> <sp who="#GRANM"> <speaker><hi rendition="#g">Großmutter</hi>.</speaker><lb/> <p>Das iſt ein ſchoͤnes Lied, das nimm in Acht,<lb/> Untugend hat noch nie was eingebracht. —<lb/> Gruͤß deine Mutter, ich laſſe mich bedanken,<lb/> Daß ſie nicht vergißt die Alten und Kranken.</p> </sp><lb/> <sp who="#ROT"> <speaker><hi rendition="#g">Rothkaͤppchen</hi>.</speaker><lb/> <p>Leb wohl, Großmutter! ich komme wohl wieder,<lb/> Und bringe Nachmittag noch Eſſen heruͤber.</p> <stage>(geht.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#GRANM"> <speaker><hi rendition="#g">Großmutter</hi>.</speaker><lb/> <p>Da laͤßt der Ruſchel die Hofthuͤr auf!<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [487/0498]
Rothkaͤppchen.
Die Angſt befiel den Baum, als er ſo ſprach,
Er zittert fort bis an den juͤngſten Tag.
Rothkaͤppchen.
Ja, ja, wer nicht bei Zeiten hoͤrt, der fuͤhle! —
Leb wohl, ich geh zuruͤck, noch iſt es kuͤhle.
Großmutter.
Mein Kind, eh du dich nun entfernt,
Sing noch das Lied, das du gelernt.
Rothkaͤppchen (ſingt).
Miſekaͤtzchen ging ſpazieren
Auf dem Dach am hellen Tag,
Macht ſich an den Taubenſchlag,
Eine Taub' zu attrapiren.
Miau! Miau!
Schluͤpft wohl in das Loch hinein,
Aber kaum iſt ſie darein,
Iſt der Appetit vergangen:
Eine Falle, ſiehſt du, faͤllt,
Fuͤr den Marder aufgeſtellt,
Und das Kaͤtzchen muß drin hangen,
Und im Sterben ſchreit ſie: trau
Nicht auf Diebſtahl je, Miau!
Großmutter.
Das iſt ein ſchoͤnes Lied, das nimm in Acht,
Untugend hat noch nie was eingebracht. —
Gruͤß deine Mutter, ich laſſe mich bedanken,
Daß ſie nicht vergißt die Alten und Kranken.
Rothkaͤppchen.
Leb wohl, Großmutter! ich komme wohl wieder,
Und bringe Nachmittag noch Eſſen heruͤber. (geht.)
Großmutter.
Da laͤßt der Ruſchel die Hofthuͤr auf!
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/498>, abgerufen am 16.07.2024. |