Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Erste Abtheilung. Thränen umfaßte. O Vergebung, mein gnädigerHerr! rief sie aus, vergeben Sie, und machen Sie, daß die gnädige Frau mir verzeiht: in die- ser Stunde wollte ich draußen im Garten hinter der Lindenallee den Gärtner treffen, der mir schon seit lange die Ehe versprochen hat, und mit dem ich verlobt bin; heute Nacht wollten wir uns heimlich in der Capelle hier neben an trauen lassen, denn ich Unglückliche bin seit fünf Monden von ihm guter Hofnung. Gehe ruhig in dein Zimmer zurück, sagte der Herr; ich will den Gärtner selber aufsuchen, ich habe gegen eure Verbindung nichts, nur diese Heimlichkeit ist mir anstößig. Er hat es durchaus so gewollt, antwortete sie, weil er der Ueberzeugung war, daß Sie uns beide nicht in Ihren Diensten be- halten würden, wenn Sie die Sache erführen. Gieb dich für heut zufrieden, sagte der Herr; morgen wollen wir vernünftig darüber sprechen. O Gott, schluchzte sie, so habe ich doch heute mein Brautkleid umsonst angelegt! Mit diesen Worten ging sie die Treppe wieder hinauf. Der Baron ließ im Saale die Kerze stehn, und begab sich in den Garten. Die Nacht war finster und ohne Sterne, ein feuchter Herbstwind schlug ihm entgegen, die Bäume sausten winterlich. Er schritt durch die bekannten Gänge, und hinter den Linden, an der einsamsten und entferntesten Stelle des Gartens sah er aus dem Boden ein Lichtlein schimmern. Als er näher ging, sah er, Erſte Abtheilung. Thraͤnen umfaßte. O Vergebung, mein gnaͤdigerHerr! rief ſie aus, vergeben Sie, und machen Sie, daß die gnaͤdige Frau mir verzeiht: in die- ſer Stunde wollte ich draußen im Garten hinter der Lindenallee den Gaͤrtner treffen, der mir ſchon ſeit lange die Ehe verſprochen hat, und mit dem ich verlobt bin; heute Nacht wollten wir uns heimlich in der Capelle hier neben an trauen laſſen, denn ich Ungluͤckliche bin ſeit fuͤnf Monden von ihm guter Hofnung. Gehe ruhig in dein Zimmer zuruͤck, ſagte der Herr; ich will den Gaͤrtner ſelber aufſuchen, ich habe gegen eure Verbindung nichts, nur dieſe Heimlichkeit iſt mir anſtoͤßig. Er hat es durchaus ſo gewollt, antwortete ſie, weil er der Ueberzeugung war, daß Sie uns beide nicht in Ihren Dienſten be- halten wuͤrden, wenn Sie die Sache erfuͤhren. Gieb dich fuͤr heut zufrieden, ſagte der Herr; morgen wollen wir vernuͤnftig daruͤber ſprechen. O Gott, ſchluchzte ſie, ſo habe ich doch heute mein Brautkleid umſonſt angelegt! Mit dieſen Worten ging ſie die Treppe wieder hinauf. Der Baron ließ im Saale die Kerze ſtehn, und begab ſich in den Garten. Die Nacht war finſter und ohne Sterne, ein feuchter Herbſtwind ſchlug ihm entgegen, die Baͤume ſauſten winterlich. Er ſchritt durch die bekannten Gaͤnge, und hinter den Linden, an der einſamſten und entfernteſten Stelle des Gartens ſah er aus dem Boden ein Lichtlein ſchimmern. Als er naͤher ging, ſah er, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0474" n="463"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/> Thraͤnen umfaßte. O Vergebung, mein gnaͤdiger<lb/> Herr! rief ſie aus, vergeben Sie, und machen<lb/> Sie, daß die gnaͤdige Frau mir verzeiht: in die-<lb/> ſer Stunde wollte ich draußen im Garten hinter<lb/> der Lindenallee den Gaͤrtner treffen, der mir<lb/> ſchon ſeit lange die Ehe verſprochen hat, und<lb/> mit dem ich verlobt bin; heute Nacht wollten<lb/> wir uns heimlich in der Capelle hier neben an<lb/> trauen laſſen, denn ich Ungluͤckliche bin ſeit fuͤnf<lb/> Monden von ihm guter Hofnung. Gehe ruhig<lb/> in dein Zimmer zuruͤck, ſagte der Herr; ich will<lb/> den Gaͤrtner ſelber aufſuchen, ich habe gegen<lb/> eure Verbindung nichts, nur dieſe Heimlichkeit<lb/> iſt mir anſtoͤßig. Er hat es durchaus ſo gewollt,<lb/> antwortete ſie, weil er der Ueberzeugung war,<lb/> daß Sie uns beide nicht in Ihren Dienſten be-<lb/> halten wuͤrden, wenn Sie die Sache erfuͤhren.<lb/> Gieb dich fuͤr heut zufrieden, ſagte der Herr;<lb/> morgen wollen wir vernuͤnftig daruͤber ſprechen.<lb/> O Gott, ſchluchzte ſie, ſo habe ich doch heute<lb/> mein Brautkleid umſonſt angelegt! Mit dieſen<lb/> Worten ging ſie die Treppe wieder hinauf. Der<lb/> Baron ließ im Saale die Kerze ſtehn, und begab<lb/> ſich in den Garten. Die Nacht war finſter und<lb/> ohne Sterne, ein feuchter Herbſtwind ſchlug ihm<lb/> entgegen, die Baͤume ſauſten winterlich. Er<lb/> ſchritt durch die bekannten Gaͤnge, und hinter<lb/> den Linden, an der einſamſten und entfernteſten<lb/> Stelle des Gartens ſah er aus dem Boden ein<lb/> Lichtlein ſchimmern. Als er naͤher ging, ſah er,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [463/0474]
Erſte Abtheilung.
Thraͤnen umfaßte. O Vergebung, mein gnaͤdiger
Herr! rief ſie aus, vergeben Sie, und machen
Sie, daß die gnaͤdige Frau mir verzeiht: in die-
ſer Stunde wollte ich draußen im Garten hinter
der Lindenallee den Gaͤrtner treffen, der mir
ſchon ſeit lange die Ehe verſprochen hat, und
mit dem ich verlobt bin; heute Nacht wollten
wir uns heimlich in der Capelle hier neben an
trauen laſſen, denn ich Ungluͤckliche bin ſeit fuͤnf
Monden von ihm guter Hofnung. Gehe ruhig
in dein Zimmer zuruͤck, ſagte der Herr; ich will
den Gaͤrtner ſelber aufſuchen, ich habe gegen
eure Verbindung nichts, nur dieſe Heimlichkeit
iſt mir anſtoͤßig. Er hat es durchaus ſo gewollt,
antwortete ſie, weil er der Ueberzeugung war,
daß Sie uns beide nicht in Ihren Dienſten be-
halten wuͤrden, wenn Sie die Sache erfuͤhren.
Gieb dich fuͤr heut zufrieden, ſagte der Herr;
morgen wollen wir vernuͤnftig daruͤber ſprechen.
O Gott, ſchluchzte ſie, ſo habe ich doch heute
mein Brautkleid umſonſt angelegt! Mit dieſen
Worten ging ſie die Treppe wieder hinauf. Der
Baron ließ im Saale die Kerze ſtehn, und begab
ſich in den Garten. Die Nacht war finſter und
ohne Sterne, ein feuchter Herbſtwind ſchlug ihm
entgegen, die Baͤume ſauſten winterlich. Er
ſchritt durch die bekannten Gaͤnge, und hinter
den Linden, an der einſamſten und entfernteſten
Stelle des Gartens ſah er aus dem Boden ein
Lichtlein ſchimmern. Als er naͤher ging, ſah er,
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