Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Erste Abtheilung. spräche war auch der Mann derselben Meinung,und beide hatten sich wieder dem Schlafe über- lassen. Sie erstaunte, als sie nach einiger Zeit von dem Geräusch erwachte, welches der Mann erregte, den sie angekleidet, und mit einem Lichte, welches er angezündet hatte, vor dem Bette ste- hen sah. Was ist dir nur heut? fragte sie halb unwillig. Sey es wie es sey, antwortete ihr Gatte, ich will diesesmal einem Traume glau- ben, wenn auch sonst nie wieder, denn das Mäd- chen ist mir jetzt zum dritten male eben so er- schienen, hat ihre Bitte wiederholt und mit ängstlichem Schreien hinzu gefügt: nun ist es die höchste Zeit, in einigen Minuten ist es zu spät! Ich will jetzt hinauf gehn, und sehn was sie macht. Ohne eine Antwort zu erwarten ver- ließ er das Schlafzimmer. Wie erstaunte er, in- dem er sich die Treppe hinauf begeben wollte, daß die breiten Stiegen herunter das Mädchen ihm gerade so entgegen schritt, wie er sie im Traume gesehen hatte, im seidenen Kleide, wel- ches ihr nur vor wenigen Tagen die gnädige Frau geschenkt hatte: mit Myrthen und Blumen in den Haaren, eine kleine Laterne in der Hand; das Licht, welches er trug, warf einen vollen Schein über die erschrockene Gestalt, die auf die Anrede, wohin sie gehe, und was sie vorhabe, anfangs in ihrer Verwirrung nichts zu antwor- ten wußte. Endlich sammelte sie sich etwas und fiel ihrem Gebieter zu Fuß, dessen Knie sie mit Erſte Abtheilung. ſpraͤche war auch der Mann derſelben Meinung,und beide hatten ſich wieder dem Schlafe uͤber- laſſen. Sie erſtaunte, als ſie nach einiger Zeit von dem Geraͤuſch erwachte, welches der Mann erregte, den ſie angekleidet, und mit einem Lichte, welches er angezuͤndet hatte, vor dem Bette ſte- hen ſah. Was iſt dir nur heut? fragte ſie halb unwillig. Sey es wie es ſey, antwortete ihr Gatte, ich will dieſesmal einem Traume glau- ben, wenn auch ſonſt nie wieder, denn das Maͤd- chen iſt mir jetzt zum dritten male eben ſo er- ſchienen, hat ihre Bitte wiederholt und mit aͤngſtlichem Schreien hinzu gefuͤgt: nun iſt es die hoͤchſte Zeit, in einigen Minuten iſt es zu ſpaͤt! Ich will jetzt hinauf gehn, und ſehn was ſie macht. Ohne eine Antwort zu erwarten ver- ließ er das Schlafzimmer. Wie erſtaunte er, in- dem er ſich die Treppe hinauf begeben wollte, daß die breiten Stiegen herunter das Maͤdchen ihm gerade ſo entgegen ſchritt, wie er ſie im Traume geſehen hatte, im ſeidenen Kleide, wel- ches ihr nur vor wenigen Tagen die gnaͤdige Frau geſchenkt hatte: mit Myrthen und Blumen in den Haaren, eine kleine Laterne in der Hand; das Licht, welches er trug, warf einen vollen Schein uͤber die erſchrockene Geſtalt, die auf die Anrede, wohin ſie gehe, und was ſie vorhabe, anfangs in ihrer Verwirrung nichts zu antwor- ten wußte. Endlich ſammelte ſie ſich etwas und fiel ihrem Gebieter zu Fuß, deſſen Knie ſie mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0473" n="462"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/> ſpraͤche war auch der Mann derſelben Meinung,<lb/> und beide hatten ſich wieder dem Schlafe uͤber-<lb/> laſſen. Sie erſtaunte, als ſie nach einiger Zeit<lb/> von dem Geraͤuſch erwachte, welches der Mann<lb/> erregte, den ſie angekleidet, und mit einem Lichte,<lb/> welches er angezuͤndet hatte, vor dem Bette ſte-<lb/> hen ſah. Was iſt dir nur heut? fragte ſie halb<lb/> unwillig. Sey es wie es ſey, antwortete ihr<lb/> Gatte, ich will dieſesmal einem Traume glau-<lb/> ben, wenn auch ſonſt nie wieder, denn das Maͤd-<lb/> chen iſt mir jetzt zum dritten male eben ſo er-<lb/> ſchienen, hat ihre Bitte wiederholt und mit<lb/> aͤngſtlichem Schreien hinzu gefuͤgt: nun iſt es<lb/> die hoͤchſte Zeit, in einigen Minuten iſt es zu<lb/> ſpaͤt! Ich will jetzt hinauf gehn, und ſehn was<lb/> ſie macht. Ohne eine Antwort zu erwarten ver-<lb/> ließ er das Schlafzimmer. Wie erſtaunte er, in-<lb/> dem er ſich die Treppe hinauf begeben wollte,<lb/> daß die breiten Stiegen herunter das Maͤdchen<lb/> ihm gerade ſo entgegen ſchritt, wie er ſie im<lb/> Traume geſehen hatte, im ſeidenen Kleide, wel-<lb/> ches ihr nur vor wenigen Tagen die gnaͤdige<lb/> Frau geſchenkt hatte: mit Myrthen und Blumen<lb/> in den Haaren, eine kleine Laterne in der Hand;<lb/> das Licht, welches er trug, warf einen vollen<lb/> Schein uͤber die erſchrockene Geſtalt, die auf die<lb/> Anrede, wohin ſie gehe, und was ſie vorhabe,<lb/> anfangs in ihrer Verwirrung nichts zu antwor-<lb/> ten wußte. Endlich ſammelte ſie ſich etwas und<lb/> fiel ihrem Gebieter zu Fuß, deſſen Knie ſie mit<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [462/0473]
Erſte Abtheilung.
ſpraͤche war auch der Mann derſelben Meinung,
und beide hatten ſich wieder dem Schlafe uͤber-
laſſen. Sie erſtaunte, als ſie nach einiger Zeit
von dem Geraͤuſch erwachte, welches der Mann
erregte, den ſie angekleidet, und mit einem Lichte,
welches er angezuͤndet hatte, vor dem Bette ſte-
hen ſah. Was iſt dir nur heut? fragte ſie halb
unwillig. Sey es wie es ſey, antwortete ihr
Gatte, ich will dieſesmal einem Traume glau-
ben, wenn auch ſonſt nie wieder, denn das Maͤd-
chen iſt mir jetzt zum dritten male eben ſo er-
ſchienen, hat ihre Bitte wiederholt und mit
aͤngſtlichem Schreien hinzu gefuͤgt: nun iſt es
die hoͤchſte Zeit, in einigen Minuten iſt es zu
ſpaͤt! Ich will jetzt hinauf gehn, und ſehn was
ſie macht. Ohne eine Antwort zu erwarten ver-
ließ er das Schlafzimmer. Wie erſtaunte er, in-
dem er ſich die Treppe hinauf begeben wollte,
daß die breiten Stiegen herunter das Maͤdchen
ihm gerade ſo entgegen ſchritt, wie er ſie im
Traume geſehen hatte, im ſeidenen Kleide, wel-
ches ihr nur vor wenigen Tagen die gnaͤdige
Frau geſchenkt hatte: mit Myrthen und Blumen
in den Haaren, eine kleine Laterne in der Hand;
das Licht, welches er trug, warf einen vollen
Schein uͤber die erſchrockene Geſtalt, die auf die
Anrede, wohin ſie gehe, und was ſie vorhabe,
anfangs in ihrer Verwirrung nichts zu antwor-
ten wußte. Endlich ſammelte ſie ſich etwas und
fiel ihrem Gebieter zu Fuß, deſſen Knie ſie mit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |