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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
den hatten, um sie kurze Zeit nachher wieder zu
vereinigen.



Es war über dem Vorlesen dieser Mähr-
chen viele Zeit verflossen, und man setzte sich sehr
spät zu Tische. Der Abend war wieder so warm,
daß man die Flügel des Saales eröffnen konnte,
um die anmuthige Luft zu genießen. Man sprach
noch vielerlei über die vorgetragenen Erzählun-
gen, und es schien, daß die übrigen Frauen der
Meinung Claras beitraten, welchen die Geschichte
vom blonden Eckbert allen übrigen vorzog. Emi-
lie wollte im getreuen Eckart eine Disharmonie
bemerken, Rosalie nahm die Magelone in Schutz
und Wilibalds Erzählung, Auguste lobte die El-
fen; nur in Ansehung des Runenberges und Lie-
beszaubers blieben alle bei ihrer vorgefaßten Mei-
nung, und verwarfen sie gänzlich. Mein theurer
Freund, sagte Manfred, zu Lothar gewandt, trö-
sten wir uns darüber, daß die gegenwärtige Zeit
uns nicht versteht, ich appellire an eine bessere
Nachwelt, die mich dankbar anerkennen wird.

Wo ist die? fragte Lothar lachend.

Dorten schläft sie schon, sagte Manfred,
nach der Kinderstube hinauf deutend, meine bei-
den Jungen meine ich; so wie sie nur ein weni-
ges bei Kräften sind, lese ich ihnen meine Werke
vor, und belohne ihren Beifall mit Zuckerwerk,

Erſte Abtheilung.
den hatten, um ſie kurze Zeit nachher wieder zu
vereinigen.



Es war uͤber dem Vorleſen dieſer Maͤhr-
chen viele Zeit verfloſſen, und man ſetzte ſich ſehr
ſpaͤt zu Tiſche. Der Abend war wieder ſo warm,
daß man die Fluͤgel des Saales eroͤffnen konnte,
um die anmuthige Luft zu genießen. Man ſprach
noch vielerlei uͤber die vorgetragenen Erzaͤhlun-
gen, und es ſchien, daß die uͤbrigen Frauen der
Meinung Claras beitraten, welchen die Geſchichte
vom blonden Eckbert allen uͤbrigen vorzog. Emi-
lie wollte im getreuen Eckart eine Disharmonie
bemerken, Roſalie nahm die Magelone in Schutz
und Wilibalds Erzaͤhlung, Auguſte lobte die El-
fen; nur in Anſehung des Runenberges und Lie-
beszaubers blieben alle bei ihrer vorgefaßten Mei-
nung, und verwarfen ſie gaͤnzlich. Mein theurer
Freund, ſagte Manfred, zu Lothar gewandt, troͤ-
ſten wir uns daruͤber, daß die gegenwaͤrtige Zeit
uns nicht verſteht, ich appellire an eine beſſere
Nachwelt, die mich dankbar anerkennen wird.

Wo iſt die? fragte Lothar lachend.

Dorten ſchlaͤft ſie ſchon, ſagte Manfred,
nach der Kinderſtube hinauf deutend, meine bei-
den Jungen meine ich; ſo wie ſie nur ein weni-
ges bei Kraͤften ſind, leſe ich ihnen meine Werke
vor, und belohne ihren Beifall mit Zuckerwerk,

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[456/0467] Erſte Abtheilung. den hatten, um ſie kurze Zeit nachher wieder zu vereinigen. Es war uͤber dem Vorleſen dieſer Maͤhr- chen viele Zeit verfloſſen, und man ſetzte ſich ſehr ſpaͤt zu Tiſche. Der Abend war wieder ſo warm, daß man die Fluͤgel des Saales eroͤffnen konnte, um die anmuthige Luft zu genießen. Man ſprach noch vielerlei uͤber die vorgetragenen Erzaͤhlun- gen, und es ſchien, daß die uͤbrigen Frauen der Meinung Claras beitraten, welchen die Geſchichte vom blonden Eckbert allen uͤbrigen vorzog. Emi- lie wollte im getreuen Eckart eine Disharmonie bemerken, Roſalie nahm die Magelone in Schutz und Wilibalds Erzaͤhlung, Auguſte lobte die El- fen; nur in Anſehung des Runenberges und Lie- beszaubers blieben alle bei ihrer vorgefaßten Mei- nung, und verwarfen ſie gaͤnzlich. Mein theurer Freund, ſagte Manfred, zu Lothar gewandt, troͤ- ſten wir uns daruͤber, daß die gegenwaͤrtige Zeit uns nicht verſteht, ich appellire an eine beſſere Nachwelt, die mich dankbar anerkennen wird. Wo iſt die? fragte Lothar lachend. Dorten ſchlaͤft ſie ſchon, ſagte Manfred, nach der Kinderſtube hinauf deutend, meine bei- den Jungen meine ich; ſo wie ſie nur ein weni- ges bei Kraͤften ſind, leſe ich ihnen meine Werke vor, und belohne ihren Beifall mit Zuckerwerk,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/467>, abgerufen am 22.11.2024.