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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
laufen können, denn Ihr findet gewiß nicht aus
dem weitläufigen Gebäude heraus.

Sie gingen noch durch einige Gänge; endlich
entfernte sich Leopold und wünschte gute Nacht.
Der Bediente stellte zwei Wachskerzen hin, fragte,
ob er den Fremden entkleiden solle, und da dieser
jede Bedienung verbat, zog sich jener zurück, und
er befand sich allein. Wie muß es mir denn be-
gegnen, sagte er, indem er auf und nieder ging,
daß jenes Bildniß so lebhaft heut aus meinem Her-
zen quillt? Ich vergaß die ganze Vergangenheit
und glaubte sie selbst zu sehn. Ich war wieder
jung und ihr Ton erklang wie damals, mir dünkte,
ich sey aus einem schweren Traum erwacht; aber
nein, jetzt bin ich erwacht, und die holde Täu-
schung war nur ein süßer Traum.

Er war zu unruhig, um zu schlafen, er be-
trachtete einige Zeichnungen an den Wänden und
dann das Zimmer. Heut ist mir alles so bekannt,
rief er aus, könnt' ich mich doch fast so täuschen,
daß ich mir einbildete, dieses Haus und dieses Ge-
mach seyen mir nicht fremd. Er suchte seine Erinne-
rungen anzuknüpfen, und hob einige große Bücher
auf, welche in der Ecke standen. Als er sie durch-
blättert hatte, schüttelte er mit dem Kopfe. Ein
Lautenfutteral lehnte an der Mauer; er eröffnete
es und nahm ein altes seltsames Instrument her-
aus, das beschädigt war und dem die Saiten fehl-
ten. Nein, ich irre mich nicht, rief er bestürzt:
diese Laute ist zu kenntlich, es ist die Spanische
meines längst verstorbenen Freundes Albert; dort

stehn

Erſte Abtheilung.
laufen koͤnnen, denn Ihr findet gewiß nicht aus
dem weitlaͤufigen Gebaͤude heraus.

Sie gingen noch durch einige Gaͤnge; endlich
entfernte ſich Leopold und wuͤnſchte gute Nacht.
Der Bediente ſtellte zwei Wachskerzen hin, fragte,
ob er den Fremden entkleiden ſolle, und da dieſer
jede Bedienung verbat, zog ſich jener zuruͤck, und
er befand ſich allein. Wie muß es mir denn be-
gegnen, ſagte er, indem er auf und nieder ging,
daß jenes Bildniß ſo lebhaft heut aus meinem Her-
zen quillt? Ich vergaß die ganze Vergangenheit
und glaubte ſie ſelbſt zu ſehn. Ich war wieder
jung und ihr Ton erklang wie damals, mir duͤnkte,
ich ſey aus einem ſchweren Traum erwacht; aber
nein, jetzt bin ich erwacht, und die holde Taͤu-
ſchung war nur ein ſuͤßer Traum.

Er war zu unruhig, um zu ſchlafen, er be-
trachtete einige Zeichnungen an den Waͤnden und
dann das Zimmer. Heut iſt mir alles ſo bekannt,
rief er aus, koͤnnt' ich mich doch faſt ſo taͤuſchen,
daß ich mir einbildete, dieſes Haus und dieſes Ge-
mach ſeyen mir nicht fremd. Er ſuchte ſeine Erinne-
rungen anzuknuͤpfen, und hob einige große Buͤcher
auf, welche in der Ecke ſtanden. Als er ſie durch-
blaͤttert hatte, ſchuͤttelte er mit dem Kopfe. Ein
Lautenfutteral lehnte an der Mauer; er eroͤffnete
es und nahm ein altes ſeltſames Inſtrument her-
aus, das beſchaͤdigt war und dem die Saiten fehl-
ten. Nein, ich irre mich nicht, rief er beſtuͤrzt:
dieſe Laute iſt zu kenntlich, es iſt die Spaniſche
meines laͤngſt verſtorbenen Freundes Albert; dort

ſtehn
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[448/0459] Erſte Abtheilung. laufen koͤnnen, denn Ihr findet gewiß nicht aus dem weitlaͤufigen Gebaͤude heraus. Sie gingen noch durch einige Gaͤnge; endlich entfernte ſich Leopold und wuͤnſchte gute Nacht. Der Bediente ſtellte zwei Wachskerzen hin, fragte, ob er den Fremden entkleiden ſolle, und da dieſer jede Bedienung verbat, zog ſich jener zuruͤck, und er befand ſich allein. Wie muß es mir denn be- gegnen, ſagte er, indem er auf und nieder ging, daß jenes Bildniß ſo lebhaft heut aus meinem Her- zen quillt? Ich vergaß die ganze Vergangenheit und glaubte ſie ſelbſt zu ſehn. Ich war wieder jung und ihr Ton erklang wie damals, mir duͤnkte, ich ſey aus einem ſchweren Traum erwacht; aber nein, jetzt bin ich erwacht, und die holde Taͤu- ſchung war nur ein ſuͤßer Traum. Er war zu unruhig, um zu ſchlafen, er be- trachtete einige Zeichnungen an den Waͤnden und dann das Zimmer. Heut iſt mir alles ſo bekannt, rief er aus, koͤnnt' ich mich doch faſt ſo taͤuſchen, daß ich mir einbildete, dieſes Haus und dieſes Ge- mach ſeyen mir nicht fremd. Er ſuchte ſeine Erinne- rungen anzuknuͤpfen, und hob einige große Buͤcher auf, welche in der Ecke ſtanden. Als er ſie durch- blaͤttert hatte, ſchuͤttelte er mit dem Kopfe. Ein Lautenfutteral lehnte an der Mauer; er eroͤffnete es und nahm ein altes ſeltſames Inſtrument her- aus, das beſchaͤdigt war und dem die Saiten fehl- ten. Nein, ich irre mich nicht, rief er beſtuͤrzt: dieſe Laute iſt zu kenntlich, es iſt die Spaniſche meines laͤngſt verſtorbenen Freundes Albert; dort ſtehn

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/459>, abgerufen am 22.11.2024.