Bräutigam, unserm alten Freunde ein Plätzchen in ihrem Hause, und lassen Sie ihn an unserer allgemeinen Freude Theil nehmen. Er scheint, liebe Schwester Agathe, viel Unglück erlebt zu haben, welches ihn mißtrauisch und menschenfeindlich ge- macht hat, er vermeidet alle Gesellschaft, und macht nur eine Ausnahme mit mir und Leopold; ich habe ihm viel zu danken, er hat zuerst meinem Geiste eine bessere Richtung gegeben, ja ich kann sagen, er allein hat mich vielleicht der Liebe meiner Julie würdig gemacht.
Mir borgt er alle Bücher fuhr Leopold fort, und, was mehr sagen will, alte Manuskripte, und was noch mehr sagen will, Geld, auf mein bloßes Wort; er hat die christlichste Gesinnung, Schwe- sterchen, und wer weiß, wenn du ihn näher ken- nen lernst, ob du nicht deine Sprödigkeit fahren lässest, und dich in ihn verliebst, so häßlich er dir auch jetzt vorkommt.
Nun so bringen Sie ihn uns, sagte die Mut- ter, ich habe schon sonst so viel aus Leopolds Munde von ihm hören müssen, daß ich neugierig bin, seine Bekanntschaft zu machen. Nur müssen Sie es verantworten, daß wir ihm keine bessere Wohnung geben können.
Indem kamen Reisende an. Es waren die Mitglieder der Familie; die verheiratheten Töch- ter, so wie der Offizier, brachten ihre Kinder mit. Die gute Alte freute sich, ihre Enkel zu sehn; alles war Bewillkommnung und frohes Gespräch, und als der Bräutigam und Leopold auch ihre Grüße
Der Pokal.
Braͤutigam, unſerm alten Freunde ein Plaͤtzchen in ihrem Hauſe, und laſſen Sie ihn an unſerer allgemeinen Freude Theil nehmen. Er ſcheint, liebe Schweſter Agathe, viel Ungluͤck erlebt zu haben, welches ihn mißtrauiſch und menſchenfeindlich ge- macht hat, er vermeidet alle Geſellſchaft, und macht nur eine Ausnahme mit mir und Leopold; ich habe ihm viel zu danken, er hat zuerſt meinem Geiſte eine beſſere Richtung gegeben, ja ich kann ſagen, er allein hat mich vielleicht der Liebe meiner Julie wuͤrdig gemacht.
Mir borgt er alle Buͤcher fuhr Leopold fort, und, was mehr ſagen will, alte Manuſkripte, und was noch mehr ſagen will, Geld, auf mein bloßes Wort; er hat die chriſtlichſte Geſinnung, Schwe- ſterchen, und wer weiß, wenn du ihn naͤher ken- nen lernſt, ob du nicht deine Sproͤdigkeit fahren laͤſſeſt, und dich in ihn verliebſt, ſo haͤßlich er dir auch jetzt vorkommt.
Nun ſo bringen Sie ihn uns, ſagte die Mut- ter, ich habe ſchon ſonſt ſo viel aus Leopolds Munde von ihm hoͤren muͤſſen, daß ich neugierig bin, ſeine Bekanntſchaft zu machen. Nur muͤſſen Sie es verantworten, daß wir ihm keine beſſere Wohnung geben koͤnnen.
Indem kamen Reiſende an. Es waren die Mitglieder der Familie; die verheiratheten Toͤch- ter, ſo wie der Offizier, brachten ihre Kinder mit. Die gute Alte freute ſich, ihre Enkel zu ſehn; alles war Bewillkommnung und frohes Geſpraͤch, und als der Braͤutigam und Leopold auch ihre Gruͤße
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Der Pokal.
Braͤutigam, unſerm alten Freunde ein Plaͤtzchen
in ihrem Hauſe, und laſſen Sie ihn an unſerer
allgemeinen Freude Theil nehmen. Er ſcheint, liebe
Schweſter Agathe, viel Ungluͤck erlebt zu haben,
welches ihn mißtrauiſch und menſchenfeindlich ge-
macht hat, er vermeidet alle Geſellſchaft, und macht
nur eine Ausnahme mit mir und Leopold; ich habe
ihm viel zu danken, er hat zuerſt meinem Geiſte
eine beſſere Richtung gegeben, ja ich kann ſagen,
er allein hat mich vielleicht der Liebe meiner Julie
wuͤrdig gemacht.
Mir borgt er alle Buͤcher fuhr Leopold fort,
und, was mehr ſagen will, alte Manuſkripte, und
was noch mehr ſagen will, Geld, auf mein bloßes
Wort; er hat die chriſtlichſte Geſinnung, Schwe-
ſterchen, und wer weiß, wenn du ihn naͤher ken-
nen lernſt, ob du nicht deine Sproͤdigkeit fahren
laͤſſeſt, und dich in ihn verliebſt, ſo haͤßlich er dir
auch jetzt vorkommt.
Nun ſo bringen Sie ihn uns, ſagte die Mut-
ter, ich habe ſchon ſonſt ſo viel aus Leopolds
Munde von ihm hoͤren muͤſſen, daß ich neugierig
bin, ſeine Bekanntſchaft zu machen. Nur muͤſſen
Sie es verantworten, daß wir ihm keine beſſere
Wohnung geben koͤnnen.
Indem kamen Reiſende an. Es waren die
Mitglieder der Familie; die verheiratheten Toͤch-
ter, ſo wie der Offizier, brachten ihre Kinder mit.
Die gute Alte freute ſich, ihre Enkel zu ſehn; alles
war Bewillkommnung und frohes Geſpraͤch, und
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/456>, abgerufen am 22.11.2024.
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