Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Pokal.

Wann wird er doch einmal klüger werden!
sagte die Mutter; was werden nur deine Geschwi-
ster denken, wenn sie dich eben so unklug wieder
finden, als sie dich vor zwei Jahren verlassen haben.

Sie müssen meinem Charakter Gerechtigkeit
widerfahren lassen, antwortete der lebhafte Jüng-
ling, daß ich nicht so wandelbar bin wie sie oder
ihre Männer, die sich in wenigen Jahren so sehr,
und zwar nicht zu ihrem Vortheile verändert haben.

Jetzt trat der Bräutigam zu ihnen, und fragte
nach der Braut. Die Kammerjungfer ward ge-
schickt, sie zu rufen. Hat Leopold Ihnen, liebe
Mutter, meine Bitte vergetragen? fragte der
Verlobte.

Daß ich nicht wüßte, sagte dieser; in der
Unordnung hier im Hause kann man keinen ver-
nünftigen Gedanken fassen.

Die Braut trat herzu, und die jungen Leute
begrüßten sich mit Freuden. Die Bitte, deren
ich erwähnte, fuhr dann der Bräutigam fort, ist
diese, daß Sie es nicht übel deuten mögen, wenn
ich Ihnen noch einen Gast in Ihr Haus führe,
das für diese Tage nur schon zu sehr besetzt ist.

Sie wissen es selbst, sagte die Mutter, daß,
so geräumig es auch ist, sich schwerlich noch Zim-
mer einrichten lassen.

Doch, rief Leopold, ich habe schon zum Theil
dafür gesorgt, ich habe die große Stube im Hin-
terhause aufräumen lassen.

Ei, die ist nicht anständig genug, sagte die

Der Pokal.

Wann wird er doch einmal kluͤger werden!
ſagte die Mutter; was werden nur deine Geſchwi-
ſter denken, wenn ſie dich eben ſo unklug wieder
finden, als ſie dich vor zwei Jahren verlaſſen haben.

Sie muͤſſen meinem Charakter Gerechtigkeit
widerfahren laſſen, antwortete der lebhafte Juͤng-
ling, daß ich nicht ſo wandelbar bin wie ſie oder
ihre Maͤnner, die ſich in wenigen Jahren ſo ſehr,
und zwar nicht zu ihrem Vortheile veraͤndert haben.

Jetzt trat der Braͤutigam zu ihnen, und fragte
nach der Braut. Die Kammerjungfer ward ge-
ſchickt, ſie zu rufen. Hat Leopold Ihnen, liebe
Mutter, meine Bitte vergetragen? fragte der
Verlobte.

Daß ich nicht wuͤßte, ſagte dieſer; in der
Unordnung hier im Hauſe kann man keinen ver-
nuͤnftigen Gedanken faſſen.

Die Braut trat herzu, und die jungen Leute
begruͤßten ſich mit Freuden. Die Bitte, deren
ich erwaͤhnte, fuhr dann der Braͤutigam fort, iſt
dieſe, daß Sie es nicht uͤbel deuten moͤgen, wenn
ich Ihnen noch einen Gaſt in Ihr Haus fuͤhre,
das fuͤr dieſe Tage nur ſchon zu ſehr beſetzt iſt.

Sie wiſſen es ſelbſt, ſagte die Mutter, daß,
ſo geraͤumig es auch iſt, ſich ſchwerlich noch Zim-
mer einrichten laſſen.

Doch, rief Leopold, ich habe ſchon zum Theil
dafuͤr geſorgt, ich habe die große Stube im Hin-
terhauſe aufraͤumen laſſen.

Ei, die iſt nicht anſtaͤndig genug, ſagte die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0454" n="443"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Pokal</hi>.</fw><lb/>
          <p>Wann wird er doch einmal klu&#x0364;ger werden!<lb/>
&#x017F;agte die Mutter; was werden nur deine Ge&#x017F;chwi-<lb/>
&#x017F;ter denken, wenn &#x017F;ie dich eben &#x017F;o unklug wieder<lb/>
finden, als &#x017F;ie dich vor zwei Jahren verla&#x017F;&#x017F;en haben.</p><lb/>
          <p>Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en meinem Charakter Gerechtigkeit<lb/>
widerfahren la&#x017F;&#x017F;en, antwortete der lebhafte Ju&#x0364;ng-<lb/>
ling, daß ich nicht &#x017F;o wandelbar bin wie &#x017F;ie oder<lb/>
ihre Ma&#x0364;nner, die &#x017F;ich in wenigen Jahren &#x017F;o &#x017F;ehr,<lb/>
und zwar nicht zu ihrem Vortheile vera&#x0364;ndert haben.</p><lb/>
          <p>Jetzt trat der Bra&#x0364;utigam zu ihnen, und fragte<lb/>
nach der Braut. Die Kammerjungfer ward ge-<lb/>
&#x017F;chickt, &#x017F;ie zu rufen. Hat Leopold Ihnen, liebe<lb/>
Mutter, meine Bitte vergetragen? fragte der<lb/>
Verlobte.</p><lb/>
          <p>Daß ich nicht wu&#x0364;ßte, &#x017F;agte die&#x017F;er; in der<lb/>
Unordnung hier im Hau&#x017F;e kann man keinen ver-<lb/>
nu&#x0364;nftigen Gedanken fa&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Die Braut trat herzu, und die jungen Leute<lb/>
begru&#x0364;ßten &#x017F;ich mit Freuden. Die Bitte, deren<lb/>
ich erwa&#x0364;hnte, fuhr dann der Bra&#x0364;utigam fort, i&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;e, daß Sie es nicht u&#x0364;bel deuten mo&#x0364;gen, wenn<lb/>
ich Ihnen noch einen Ga&#x017F;t in Ihr Haus fu&#x0364;hre,<lb/>
das fu&#x0364;r die&#x017F;e Tage nur &#x017F;chon zu &#x017F;ehr be&#x017F;etzt i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Sie wi&#x017F;&#x017F;en es &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;agte die Mutter, daß,<lb/>
&#x017F;o gera&#x0364;umig es auch i&#x017F;t, &#x017F;ich &#x017F;chwerlich noch Zim-<lb/>
mer einrichten la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Doch, rief Leopold, ich habe &#x017F;chon zum Theil<lb/>
dafu&#x0364;r ge&#x017F;orgt, ich habe die große Stube im Hin-<lb/>
terhau&#x017F;e aufra&#x0364;umen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Ei, die i&#x017F;t nicht an&#x017F;ta&#x0364;ndig genug, &#x017F;agte die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[443/0454] Der Pokal. Wann wird er doch einmal kluͤger werden! ſagte die Mutter; was werden nur deine Geſchwi- ſter denken, wenn ſie dich eben ſo unklug wieder finden, als ſie dich vor zwei Jahren verlaſſen haben. Sie muͤſſen meinem Charakter Gerechtigkeit widerfahren laſſen, antwortete der lebhafte Juͤng- ling, daß ich nicht ſo wandelbar bin wie ſie oder ihre Maͤnner, die ſich in wenigen Jahren ſo ſehr, und zwar nicht zu ihrem Vortheile veraͤndert haben. Jetzt trat der Braͤutigam zu ihnen, und fragte nach der Braut. Die Kammerjungfer ward ge- ſchickt, ſie zu rufen. Hat Leopold Ihnen, liebe Mutter, meine Bitte vergetragen? fragte der Verlobte. Daß ich nicht wuͤßte, ſagte dieſer; in der Unordnung hier im Hauſe kann man keinen ver- nuͤnftigen Gedanken faſſen. Die Braut trat herzu, und die jungen Leute begruͤßten ſich mit Freuden. Die Bitte, deren ich erwaͤhnte, fuhr dann der Braͤutigam fort, iſt dieſe, daß Sie es nicht uͤbel deuten moͤgen, wenn ich Ihnen noch einen Gaſt in Ihr Haus fuͤhre, das fuͤr dieſe Tage nur ſchon zu ſehr beſetzt iſt. Sie wiſſen es ſelbſt, ſagte die Mutter, daß, ſo geraͤumig es auch iſt, ſich ſchwerlich noch Zim- mer einrichten laſſen. Doch, rief Leopold, ich habe ſchon zum Theil dafuͤr geſorgt, ich habe die große Stube im Hin- terhauſe aufraͤumen laſſen. Ei, die iſt nicht anſtaͤndig genug, ſagte die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/454
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/454>, abgerufen am 23.06.2024.