Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.
Schicksal nachsinnend, in ihr Zimmer zurück. Man
erwartete noch den Sohn, den Hauptmann mit
seiner Frau und zwei ältere Töchter mit ihren
Männern; Leopold, ein jüngerer Sohn, war muth-
willig beschäftigt, die Unordnung zu vermehren,
den Lärmen zu vergrößern, und alles zu verwir-
ren, indem er alles zu betreiben schien. Agathe,
seine noch unverheirathete Schwester, wollte ihn
zur Vernunft bringen und dahin bewegen, daß er
sich um nichts kümmerte, und nur die andern in
Ruhe lasse; aber die Mutter sagte: störe ihn nicht
in seiner Thorheit, denn heute kommt es auf et-
was mehr oder weniger nicht an; nur darum bitte
ich euch alle, da ich schon auf so viel zu denken
habe, daß ihr mich nicht mit irgend etwas behel-
ligt, was ich nicht höchst nöthig erfahren muß;
ob sie Porzellan zerbrechen, ob einige silberne Löf-
fel fehlen, ob das Gesinde der Fremden Scheiben
entzwei schlägt, mit solchen Possen ärgert mich
nicht, daß ihr sie mir wieder erzählt. Sind diese
Tage der Unruhe vorüber, dann wollen wir Rech-
nung halten.

Recht so, Mutter! sagte Leopold, das sind
Gesinnungen, eines Regenten würdig! Wenn auch
einige Mägde den Hals brechen, der Koch sich be-
trinkt und den Schornstein anzündet, der Keller-
meister vor Freude den Malvasier auslaufen oder
aussaufen läßt, Sie sollen von dergleichen Kinde-
reyen nichts erfahren. Es müßte denn seyn, daß
ein Erdbeben das Haus umwürfe; Liebste, das
ließe sich unmöglich verhelen.


Erſte Abtheilung.
Schickſal nachſinnend, in ihr Zimmer zuruͤck. Man
erwartete noch den Sohn, den Hauptmann mit
ſeiner Frau und zwei aͤltere Toͤchter mit ihren
Maͤnnern; Leopold, ein juͤngerer Sohn, war muth-
willig beſchaͤftigt, die Unordnung zu vermehren,
den Laͤrmen zu vergroͤßern, und alles zu verwir-
ren, indem er alles zu betreiben ſchien. Agathe,
ſeine noch unverheirathete Schweſter, wollte ihn
zur Vernunft bringen und dahin bewegen, daß er
ſich um nichts kuͤmmerte, und nur die andern in
Ruhe laſſe; aber die Mutter ſagte: ſtoͤre ihn nicht
in ſeiner Thorheit, denn heute kommt es auf et-
was mehr oder weniger nicht an; nur darum bitte
ich euch alle, da ich ſchon auf ſo viel zu denken
habe, daß ihr mich nicht mit irgend etwas behel-
ligt, was ich nicht hoͤchſt noͤthig erfahren muß;
ob ſie Porzellan zerbrechen, ob einige ſilberne Loͤf-
fel fehlen, ob das Geſinde der Fremden Scheiben
entzwei ſchlaͤgt, mit ſolchen Poſſen aͤrgert mich
nicht, daß ihr ſie mir wieder erzaͤhlt. Sind dieſe
Tage der Unruhe voruͤber, dann wollen wir Rech-
nung halten.

Recht ſo, Mutter! ſagte Leopold, das ſind
Geſinnungen, eines Regenten wuͤrdig! Wenn auch
einige Maͤgde den Hals brechen, der Koch ſich be-
trinkt und den Schornſtein anzuͤndet, der Keller-
meiſter vor Freude den Malvaſier auslaufen oder
ausſaufen laͤßt, Sie ſollen von dergleichen Kinde-
reyen nichts erfahren. Es muͤßte denn ſeyn, daß
ein Erdbeben das Haus umwuͤrfe; Liebſte, das
ließe ſich unmoͤglich verhelen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0453" n="442"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
Schick&#x017F;al nach&#x017F;innend, in ihr Zimmer zuru&#x0364;ck. Man<lb/>
erwartete noch den Sohn, den Hauptmann mit<lb/>
&#x017F;einer Frau und zwei a&#x0364;ltere To&#x0364;chter mit ihren<lb/>
Ma&#x0364;nnern; Leopold, ein ju&#x0364;ngerer Sohn, war muth-<lb/>
willig be&#x017F;cha&#x0364;ftigt, die Unordnung zu vermehren,<lb/>
den La&#x0364;rmen zu vergro&#x0364;ßern, und alles zu verwir-<lb/>
ren, indem er alles zu betreiben &#x017F;chien. Agathe,<lb/>
&#x017F;eine noch unverheirathete Schwe&#x017F;ter, wollte ihn<lb/>
zur Vernunft bringen und dahin bewegen, daß er<lb/>
&#x017F;ich um nichts ku&#x0364;mmerte, und nur die andern in<lb/>
Ruhe la&#x017F;&#x017F;e; aber die Mutter &#x017F;agte: &#x017F;to&#x0364;re ihn nicht<lb/>
in &#x017F;einer Thorheit, denn heute kommt es auf et-<lb/>
was mehr oder weniger nicht an; nur darum bitte<lb/>
ich euch alle, da ich &#x017F;chon auf &#x017F;o viel zu denken<lb/>
habe, daß ihr mich nicht mit irgend etwas behel-<lb/>
ligt, was ich nicht ho&#x0364;ch&#x017F;t no&#x0364;thig erfahren muß;<lb/>
ob &#x017F;ie Porzellan zerbrechen, ob einige &#x017F;ilberne Lo&#x0364;f-<lb/>
fel fehlen, ob das Ge&#x017F;inde der Fremden Scheiben<lb/>
entzwei &#x017F;chla&#x0364;gt, mit &#x017F;olchen Po&#x017F;&#x017F;en a&#x0364;rgert mich<lb/>
nicht, daß ihr &#x017F;ie mir wieder erza&#x0364;hlt. Sind die&#x017F;e<lb/>
Tage der Unruhe voru&#x0364;ber, dann wollen wir Rech-<lb/>
nung halten.</p><lb/>
          <p>Recht &#x017F;o, Mutter! &#x017F;agte Leopold, das &#x017F;ind<lb/>
Ge&#x017F;innungen, eines Regenten wu&#x0364;rdig! Wenn auch<lb/>
einige Ma&#x0364;gde den Hals brechen, der Koch &#x017F;ich be-<lb/>
trinkt und den Schorn&#x017F;tein anzu&#x0364;ndet, der Keller-<lb/>
mei&#x017F;ter vor Freude den Malva&#x017F;ier auslaufen oder<lb/>
aus&#x017F;aufen la&#x0364;ßt, Sie &#x017F;ollen von dergleichen Kinde-<lb/>
reyen nichts erfahren. Es mu&#x0364;ßte denn &#x017F;eyn, daß<lb/>
ein Erdbeben das Haus umwu&#x0364;rfe; Lieb&#x017F;te, das<lb/>
ließe &#x017F;ich unmo&#x0364;glich verhelen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[442/0453] Erſte Abtheilung. Schickſal nachſinnend, in ihr Zimmer zuruͤck. Man erwartete noch den Sohn, den Hauptmann mit ſeiner Frau und zwei aͤltere Toͤchter mit ihren Maͤnnern; Leopold, ein juͤngerer Sohn, war muth- willig beſchaͤftigt, die Unordnung zu vermehren, den Laͤrmen zu vergroͤßern, und alles zu verwir- ren, indem er alles zu betreiben ſchien. Agathe, ſeine noch unverheirathete Schweſter, wollte ihn zur Vernunft bringen und dahin bewegen, daß er ſich um nichts kuͤmmerte, und nur die andern in Ruhe laſſe; aber die Mutter ſagte: ſtoͤre ihn nicht in ſeiner Thorheit, denn heute kommt es auf et- was mehr oder weniger nicht an; nur darum bitte ich euch alle, da ich ſchon auf ſo viel zu denken habe, daß ihr mich nicht mit irgend etwas behel- ligt, was ich nicht hoͤchſt noͤthig erfahren muß; ob ſie Porzellan zerbrechen, ob einige ſilberne Loͤf- fel fehlen, ob das Geſinde der Fremden Scheiben entzwei ſchlaͤgt, mit ſolchen Poſſen aͤrgert mich nicht, daß ihr ſie mir wieder erzaͤhlt. Sind dieſe Tage der Unruhe voruͤber, dann wollen wir Rech- nung halten. Recht ſo, Mutter! ſagte Leopold, das ſind Geſinnungen, eines Regenten wuͤrdig! Wenn auch einige Maͤgde den Hals brechen, der Koch ſich be- trinkt und den Schornſtein anzuͤndet, der Keller- meiſter vor Freude den Malvaſier auslaufen oder ausſaufen laͤßt, Sie ſollen von dergleichen Kinde- reyen nichts erfahren. Es muͤßte denn ſeyn, daß ein Erdbeben das Haus umwuͤrfe; Liebſte, das ließe ſich unmoͤglich verhelen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/453
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/453>, abgerufen am 22.05.2024.