Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Pokal.
O ja, antwortete Ferdinand, und werdet Ihr euer
Versprechen heut noch halten? Noch in dieser Stun-
de, antwortete jener, wenn ihr mir folgen wollt.

Sie gingen durch die Stadt und in einer ab-
gelegenen Straße in ein großes Gebäude. Heute,
sagte der Alte, müßt ihr euch schon mit mir in
das Hinterhaus bemühn, in mein einsamstes Zim-
mer, damit wir nicht etwa gestört werden. Sie
gingen durch viele Gemächer, dann über einige
Treppen; Gänge empfingen sie, und Ferdinand,
der das Haus zu kennen glaubte, mußte sich über
die Menge der Zimmer, so wie über die seltsame
Einrichtung des weitläufigen Gebäudes verwundern,
noch mehr aber darüber, daß der Alte, welcher un-
verheirathet war, und der auch keine Familie hatte,
es allein mit einem einzigen Bedienten bewohne, und
niemals an Fremde von dem überflüßigen Raume
hatte vermiethen wollen. Albert schloß endlich auf
und sagte: nun sind wir zur Stelle. Ein großes
hohes Zimmer empfing sie, das mit rothem Da-
mast ausgeschlagen war, den goldene Leisten einfaß-
ten, die Sessel waren von dem nehmlichen Zeuge,
und durch rothe schwerseidene Vorhänge, welche
nieder gelassen waren, schimmerte ein purpurnes
Licht. Verweilt einen Augenblick, sagte der Alte,
indem er in ein anderes Gemach ging. Ferdinand
betrachtete indeß einige Bücher, in welchen er
fremde unverständliche Charaktere, Kreise und Li-
nien, nebst vielen wunderlichen Zeichnungen fand,
und nach dem wenigen, was er lesen konnte, schie-
nen es alchemistische Schriften; er wußte auch,

Der Pokal.
O ja, antwortete Ferdinand, und werdet Ihr euer
Verſprechen heut noch halten? Noch in dieſer Stun-
de, antwortete jener, wenn ihr mir folgen wollt.

Sie gingen durch die Stadt und in einer ab-
gelegenen Straße in ein großes Gebaͤude. Heute,
ſagte der Alte, muͤßt ihr euch ſchon mit mir in
das Hinterhaus bemuͤhn, in mein einſamſtes Zim-
mer, damit wir nicht etwa geſtoͤrt werden. Sie
gingen durch viele Gemaͤcher, dann uͤber einige
Treppen; Gaͤnge empfingen ſie, und Ferdinand,
der das Haus zu kennen glaubte, mußte ſich uͤber
die Menge der Zimmer, ſo wie uͤber die ſeltſame
Einrichtung des weitlaͤufigen Gebaͤudes verwundern,
noch mehr aber daruͤber, daß der Alte, welcher un-
verheirathet war, und der auch keine Familie hatte,
es allein mit einem einzigen Bedienten bewohne, und
niemals an Fremde von dem uͤberfluͤßigen Raume
hatte vermiethen wollen. Albert ſchloß endlich auf
und ſagte: nun ſind wir zur Stelle. Ein großes
hohes Zimmer empfing ſie, das mit rothem Da-
maſt ausgeſchlagen war, den goldene Leiſten einfaß-
ten, die Seſſel waren von dem nehmlichen Zeuge,
und durch rothe ſchwerſeidene Vorhaͤnge, welche
nieder gelaſſen waren, ſchimmerte ein purpurnes
Licht. Verweilt einen Augenblick, ſagte der Alte,
indem er in ein anderes Gemach ging. Ferdinand
betrachtete indeß einige Buͤcher, in welchen er
fremde unverſtaͤndliche Charaktere, Kreiſe und Li-
nien, nebſt vielen wunderlichen Zeichnungen fand,
und nach dem wenigen, was er leſen konnte, ſchie-
nen es alchemiſtiſche Schriften; er wußte auch,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0446" n="435"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Pokal</hi>.</fw><lb/>
O ja, antwortete Ferdinand, und werdet Ihr euer<lb/>
Ver&#x017F;prechen heut noch halten? Noch in die&#x017F;er Stun-<lb/>
de, antwortete jener, wenn ihr mir folgen wollt.</p><lb/>
          <p>Sie gingen durch die Stadt und in einer ab-<lb/>
gelegenen Straße in ein großes Geba&#x0364;ude. Heute,<lb/>
&#x017F;agte der Alte, mu&#x0364;ßt ihr euch &#x017F;chon mit mir in<lb/>
das Hinterhaus bemu&#x0364;hn, in mein ein&#x017F;am&#x017F;tes Zim-<lb/>
mer, damit wir nicht etwa ge&#x017F;to&#x0364;rt werden. Sie<lb/>
gingen durch viele Gema&#x0364;cher, dann u&#x0364;ber einige<lb/>
Treppen; Ga&#x0364;nge empfingen &#x017F;ie, und Ferdinand,<lb/>
der das Haus zu kennen glaubte, mußte &#x017F;ich u&#x0364;ber<lb/>
die Menge der Zimmer, &#x017F;o wie u&#x0364;ber die &#x017F;elt&#x017F;ame<lb/>
Einrichtung des weitla&#x0364;ufigen Geba&#x0364;udes verwundern,<lb/>
noch mehr aber daru&#x0364;ber, daß der Alte, welcher un-<lb/>
verheirathet war, und der auch keine Familie hatte,<lb/>
es allein mit einem einzigen Bedienten bewohne, und<lb/>
niemals an Fremde von dem u&#x0364;berflu&#x0364;ßigen Raume<lb/>
hatte vermiethen wollen. Albert &#x017F;chloß endlich auf<lb/>
und &#x017F;agte: nun &#x017F;ind wir zur Stelle. Ein großes<lb/>
hohes Zimmer empfing &#x017F;ie, das mit rothem Da-<lb/>
ma&#x017F;t ausge&#x017F;chlagen war, den goldene Lei&#x017F;ten einfaß-<lb/>
ten, die Se&#x017F;&#x017F;el waren von dem nehmlichen Zeuge,<lb/>
und durch rothe &#x017F;chwer&#x017F;eidene Vorha&#x0364;nge, welche<lb/>
nieder gela&#x017F;&#x017F;en waren, &#x017F;chimmerte ein purpurnes<lb/>
Licht. Verweilt einen Augenblick, &#x017F;agte der Alte,<lb/>
indem er in ein anderes Gemach ging. Ferdinand<lb/>
betrachtete indeß einige Bu&#x0364;cher, in welchen er<lb/>
fremde unver&#x017F;ta&#x0364;ndliche Charaktere, Krei&#x017F;e und Li-<lb/>
nien, neb&#x017F;t vielen wunderlichen Zeichnungen fand,<lb/>
und nach dem wenigen, was er le&#x017F;en konnte, &#x017F;chie-<lb/>
nen es alchemi&#x017F;ti&#x017F;che Schriften; er wußte auch,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[435/0446] Der Pokal. O ja, antwortete Ferdinand, und werdet Ihr euer Verſprechen heut noch halten? Noch in dieſer Stun- de, antwortete jener, wenn ihr mir folgen wollt. Sie gingen durch die Stadt und in einer ab- gelegenen Straße in ein großes Gebaͤude. Heute, ſagte der Alte, muͤßt ihr euch ſchon mit mir in das Hinterhaus bemuͤhn, in mein einſamſtes Zim- mer, damit wir nicht etwa geſtoͤrt werden. Sie gingen durch viele Gemaͤcher, dann uͤber einige Treppen; Gaͤnge empfingen ſie, und Ferdinand, der das Haus zu kennen glaubte, mußte ſich uͤber die Menge der Zimmer, ſo wie uͤber die ſeltſame Einrichtung des weitlaͤufigen Gebaͤudes verwundern, noch mehr aber daruͤber, daß der Alte, welcher un- verheirathet war, und der auch keine Familie hatte, es allein mit einem einzigen Bedienten bewohne, und niemals an Fremde von dem uͤberfluͤßigen Raume hatte vermiethen wollen. Albert ſchloß endlich auf und ſagte: nun ſind wir zur Stelle. Ein großes hohes Zimmer empfing ſie, das mit rothem Da- maſt ausgeſchlagen war, den goldene Leiſten einfaß- ten, die Seſſel waren von dem nehmlichen Zeuge, und durch rothe ſchwerſeidene Vorhaͤnge, welche nieder gelaſſen waren, ſchimmerte ein purpurnes Licht. Verweilt einen Augenblick, ſagte der Alte, indem er in ein anderes Gemach ging. Ferdinand betrachtete indeß einige Buͤcher, in welchen er fremde unverſtaͤndliche Charaktere, Kreiſe und Li- nien, nebſt vielen wunderlichen Zeichnungen fand, und nach dem wenigen, was er leſen konnte, ſchie- nen es alchemiſtiſche Schriften; er wußte auch,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/446
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/446>, abgerufen am 23.11.2024.